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von Hito Steyerl
"Der Mann trägt eine pelzbesetzte Jacke, hohe Stiefel
und eine hohe Mütze und er tanzt mit äusserst
schnellen und gewandten Schritten. Dabei zieht er zwei
Messer hervor, die er zwischen die Zähne steckt, zwei
weitere, die er mit offenen Klingen in gefährlicher
Nähe seiner Nase zu deren beiden Seiten
balanciert.Schliesslich führt er das Kunststück
aus, ein fünftes Messer, immer im Takte der typisch
orientalischen Musik weiter tanzend, auf seiner Nase
schweben zu lassen."Beschreibung des Filmes "Kongress der
Völker des Ostens", 1920.
Auf dem Mann, dessen Nase durch scharfe Messer bedroht wird,
ruht eine paradoxe symbolische Bürde: sein Auftrag ist
es, mit seinem Balancekunststück die Einheit der
Völker des Ostens im Schulterschluss mit der Dritten
Kommunistischen Internationale, auch Komintern genannt, zu
repräsentieren. Das Problem, politische Einheiten zu
symbolisieren, die sowohl auf lokaler, als auch auf globaler
Ebene handlungsfähig sind, hat sich zumindest auf der
Seite antisystemischer Kräfte als ziemlich zäh
erwiesen. Zumindest aus der Perspektive der Metropolen ist
ein Tanz auf Messers Schneide geblieben, und erschöpft
sich nach wie vor in der ausweichenden Ausstellung
folkloristischer Elemente.
1920 fand in Baku der Kongress der "unterdrückten
Völker des Ostens" unter der Leitung der Komintern
statt. Die Veranstaltung wurde so wichtig genommen, dass sie
sogar gefilmt wurde. H.G. Wells, der den Film gesehen hat,
berichtete später, der Film zeige "das wunderbarste
Gemisch von weissen, schwarzen, braunen und gelben Menschen
mit asiatischen Trachten und den eigentümlichsten
Waffen." Der Kongress, der zum "heiligen Krieg unter dem
Banner der Komintern aufforderte und laut Wells Züge
einer "Landpartie", einer "Kirmes" sowie eines
"Schützenfestes" trug, war von vornherein umstritten.
Schon sein Titel zeigt den internen Widerspruch an, um den
sich die Auseinandersetzungen bündelten: ein Kongress
der "Völker", veranstaltet von der kommunistischen
"Internationale".
Vorausgegangen waren dem Kongress von 1920 Diskussionen um
Bündnisse mit nationalrevolutionären Bewegungen in
den islamischen Ländern: der Panislamismus wurde als
revolutionäre Kraft interpretiert, die man als
Bündnispartner der proletarischen Weltrevolution
willkommen heissen sollte. Die Warnungen von M.N.Roy, dem
einzigen in der Führungsriege der Komintern, der
tatsächlich aus einem kolonialisierten Land kam, wurden
in den Wind geschlagen. Roy hielt das ganze schlicht und
einfach für einen Propagandazirkus und weigerte sich,
dort aufzutreten. So kam es dann auch:
Übersetzungsschwierigkeiten und
Verständnisprobleme erschwerten die Aufnahme
tatsächlicher Beziehungen. Auch beim nachfolgenden
Kongress der Völker des Fernen Ostens blieb das Problem
bestehen: die fernöstlichen Delegierten kamen sich wie
eine Gruppe "Halbtauber" und "Halbstummer" vor. "Trotzdem
wurden sie überall von sowjetischen Begleitern
herumgeführt. Aber eigentlich, so meinte Chang Kuo-Tao,
war es umgekehrt:"Wir wurden nicht zu den verschiedenen
Sehenswürdigkeiten gebracht, um diese kennenzulernen,
sondern es war so, dass wir nur dahin gebracht wurden, damit
die russischen Bürger uns sehen konnten. Wir wurden als
das exotische und aufregendste Propagandaobjekt regelrecht
vorgezeigt." Während des Kongresses selbst
favorisierten die Redner Sinowjew und Safarow die
Notwendigkeit nationaler Revolutionen in den vom
Imperialismus betroffenen Ländern. Dementsprechend
wurde die alte Losung der Komintern: Proletarier aller
Länder vereinigteuch! um den Zusatz ".. und
unterdrückte Völker der ganzen Welt"
ergänzt.
Damit verstärkte sich eine Tendenz zur Verwirrung
verschiedener Kategorien politischer Raumordnung. War
bislang in der Konzeption der Komintern die (horizontal
angelegte) Zusammenarbeit der Arbeiterklassen verschiedener
Länder im Vordergrund gestanden, verlagerte sich der
Schwerpunkt zunehmend hin zur Befreiung einzelner "Nationen"
und "Völker": Konzepte, die den davon Betroffenen teils
zunächst einmal aufgezwungen werden mussten, um
überhaupt irgend eine Referenz zu finden. Die
eigentümliche Verwaltung der Konzepte des Lokalen und
Globalen durch die Komintern erwies sich strukturell als
äusserst paradox: auf der einen Seite standen
Proletarier, die als "vaterlandslos" imaginiert, sich
dennoch als "nationale Klasse" zusammenfinden sollten um
politisch handlungsfähig zu sein. Auf der anderen
hingegen reterritorialisierte sich das Konzept des
Proletariats auf internationaler Ebene in die Vorstellung
ganzer "Nationen und Völker", die von einer
imperialistischen Weltordnung unterdrückt werden. Diese
Personengruppen wurden als "natürliche" Verbündete
gedacht, wiederum gegen die Meinung M.N.Roys, der die
Komplexität kolonialer Klassengesellschaften nicht so
leicht simplifizieren mochte. Die strukturelle Gleichsetzung
von Proletariat und unterdrückten Völkern erzeugte
eine Zwickmühle in der jedes internationalistische
Verhältnis sich notwendig auf eine nationale Referenz
beziehen musste. Daraus ergab sich ein fatales
Verhältnis zwischen Territorialität und
Repräsentation: Ins "internationalistische"
Verhältnis eingehen konnten nur Personengruppen, die
einen irgendwie legitimierten Anspruch auf eine
nationale/völkische Identität oder ein nationales/
mystifiziertes Territorium behaupten konnten.
Volkstänze, wie der aus dem Film von 1920 sowie
revolutionäre Volkslieder schienen dazu gut geeignet.
Passend dazu ist auch die Anekdote jener chinesischen
Delegation, die, um auf "internationalistischer" Ebene
mitzuhalten, die heissbegehrten "revolutionären
Volkslieder" erst einmal erfinden musste.
Auf der Seite des Feindes hingegen wurden Personen und
Organisationen abgesondert, denen genau gegenteilige
Paradoxa zugeordnet wurden: mobile und abstrakte
Entitäten, die raum- und geschichtslos seien,
gleichzeitig überall präsent und nirgends zu
verorten. Als Allegorien des Nicht-Identischen wirken sie
auf gesellschaftlicher Ebene ent-fremdend, auf individueller
Ebene ver-rückt, auf der Ebene der Erscheinungen
ent-stellt. Aufgefüllt werden diese Positionen mit dem
"Finanzkapital" als Antagonistin der unterdrückten
Klasse und mit "entwurzelt" oder kosmopolitisch genannten
Personengruppen als Gegensatz zu den völkisch geerdeten
unterdrückten "Völkern". In der beschriebenen
Logik des Verhältnisses zwischen Territorium und
legitimer Repräsentation erscheinen auch diese Gruppen
als "natürliche Verbündete". Die andauernde
Wirksamkeit des territorialen Elements in der
Repräsentation hat sich umstandslos in die
ökonomischen Allegorien der Gegenwart fortgesetzt:
einer globalisierten trans- oder multinationalen
Kapitalfraktion wird strukturell ein depraviertes, als
"wurzellos" imaginiertes, "ethnisch" markiertes
Reserveproletariat zugeordnet. Nicht zuletzt aufgrund dieser
Zuschreibungen, die sich in rechtlichen, symbolischen und
moralischen Dispositiven niederschlagen ,wird die Position
der letzteren dem ausbeuterischen Zugriff tatsächlich
auf besonders miserable und vertrackte Weise ausgesetzt.
Die Versuche antisystemischer Kräfte, durch
Symbolpolitik an den Bedingungen der Möglichkeit einer
solchen Unterdrückung und Ausbeutung zu rütteln,
verfangen sich jedoch im Gewirr der Zuschreibungen: sie
verwechseln die gesellschaftlich vorgesehene Rolle
internationaler Deterritorialisierung mit den Personen, die
unfreiwillig dazu gezwungen werden, sie darzustellen. In
einem symbolischen Gefüge, in dem völkisch
homogenisierte Raumzeiten eine so grosse Rolle in der
Konfiguration von legitimierter Repräsentativität
spielen, werden umgekehrt viele Menschen ort- und
geschichtslos gemacht, um sie von der politischen und
kulturellen Repräsentation fernzuhalten.
Tatsächlich lebt kein Mensch ausserhalb von Raum und
Zeit, auch wenn gesellschaftliche Konfigurationen
raumzeitlicher Anschauungsformen diesen Anschein erwecken
sollen. Es nützt deswegen höchstens der
Kapitalfraktion etwas, wenn die Zuschreibungen
"freiflutender" Mobilität und "Wurzellosigkeit"
umgekehrt aufgewertet werden, weil sie sich innerhalb der
angewendeten Logik problemlos in die Affirmation
ökonomischer Flexibilisierung und weltweiter
Durchkapitalisierung ummünzen lassen. Mit dieser
oberflächlichen Sichtweise wird ein Problem umgangen:
Wie können als ent-fremdet, ent-stellt und
ver-rückt entwertete soziale Räume und
Geschichtsperspektiven in politisch relevante
Repräsentativität überführt werden ohne
den regressiven, binären und strukturell
antisemitischen Denkbildern des klassischen
Internationalismus immer wieder aufzusitzen?
In dem paradoxen Geflecht von gesellschaftlichen Rollen, das
die traditionelle Auffassung von Internationalismus mit sich
führt, entfaltet sich der Widerspruch zwischen globalen
und lokalen Figuren der Repräsentation immer weiter.
Polemisch liesse sich sagen, dass etwa das verzwickte
Konzept des "strategischen Essentialismus", das durch
Annahme einer gleichzeitig abgelehnten Identität, bzw.
gesellschaftlichen Rolle zur Erlangung politischer
Handlungsfähigkeit dienlich sein soll, in diesem
Kontext auf ironische Weise an der Figur des
vaterlandslos-nationalen Proletariats vorbeischrammt. Leider
lässt sich aus dem geschichtlichen Kontext auch
ersehen, dass der essentialistisch-nationale Faktor
gegenüber dem strategisch-bündnispolitischen
ständig an Bedeutung gewann. Eine Verstärkung des
territorialen Moments in der Repräsentation des
"Internationalen" lässt sich auch derzeit immer
deutlicher beobachten: die Nachfrage an
neo-folkloristischen, territorial legitimierten Bildern von
"Communities" und ähnlich ethnisierten und
minorisierten Gruppierungen nimmt stetig zu. Haben wir es
hier mit einer Neuauflage der "unterdrückten
Völker" zu tun, die nunmehr von Handlungsreisenden der
Kulturbranche umstandslos komplett als "natürliche"
Verbündete reklamiert werden und bestimmte imaginierte
"Ethnizitäten" versinnbildlichen sollen? (Ja.) Auf der
Ebene eines medialen Multikulturalismus verwirklichen sich
die Tendenzen gleichzeitiger Universalisierung des Globalen
und seiner Repartikularisierung in abgepackte
Konsumfragmente des Lokalen. Auf diese Weise werden in den
westlichen Metropolen "Scheindialoge" unter durchweg
westlicher Kuratel inszeniert, für die die passenden
"revolutionären Volkslieder" erst geschrieben werden
müssen. Zweifellos sind auch weitere Messertänze
zu befürchten.
Erst eine grundlegende Befragung der Anschauungsformen des
Politischen, der Verknüpfungen zwischen
Territorialität und "natürlicher"
Repräsentanz kann jedoch die Grundlage zu einer Form
des Internationalismus bilden, die das Verhältnis
zwischen dem Globalen und Lokalen ohne den Rekurs auf
Nation, "Ethnie" und Folklore neu definieren kann. Anzeichen
hierfür bleiben im kulturellen Bereich bis dato
spärlich.
Dieser Text
ist Schriften von Walter Leonhardt, Günther Jacob,
Thomas Haury und Olu Oguibe geschuldet.
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