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Der Glamour von St.Moritz oder das Setting "Schweiz" im globalisierten Tourismus
Peter Spillmann

Entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts "Und plötzlich China!" an der ZHdK Zürich 2007; erschienen im Magazin sinn-haft 21, Alpine Avantgarden und urbane Alpen, Wien 2008

Refeudalisierung

Was fällt Ihnen spontan ein, wenn sie St. Moritz hören? Champagner, Geld, Luxus? Das Glamour-Image des Ferienortes im Engadin hat Kontinuität und Geschichte, es ist das zentrale Motiv im kulturellen Setting von St. Moritz. Bereits in den 1890er Jahren wurden während der Saison im “Engadin Express & Alpine Post” wöchentlich offizielle Gästelisten veröffentlicht. Die Alpine Post erschien übrigens zuerst nur in London und fusionierte später mit dem Engadin Express aus St. Moritz, als der Ort zu einer der wichtigsten Destinationen in den Alpen wurde. In der Zeitung konnte man bis zu ihrer Einstellung zu Beginn des zweiten Weltkrieges nachlesen, wer in welchem Hotel abgestiegen ist; Mitglieder des Hochadels wurden nochmals extra fett gesetzt. Das Glamour-Image ist – damals und heute – in erster Linie ein Medien-Bild, das periodisch aufgegriffen und mit zeitgemäßen Inhalten gefüllt wird. Waren es z.B. in den 1970er Jahren der Jet Set aus TV und Popkultur, sind es heute vorallem Wirtschafts-Führer und große Investoren. In den 1980er Jahren wurde oft sozialkritisch oder populär skandalisierend über den zur Schau gestellte Reichtum berichtet. Heute überwiegen Berichte, die Reichtum und den Konsum von Luxus als gesellschaftlichen Konsens, als natürlich und selbstverständlich darstellen. Das Glamour-Image ist aber nicht nur ein Medienbild. Es zeitigt reale Effekte. Die verantwortlichen Touristiker vor Ort geben zu, dass sich dadurch viele potentielle Gäste abschrecken lassen. Die Gästefrequenzen sinken kontinuierlich, die Hauptzielgruppe der Region, ganz normale Familien, meidet St. Moritz, weil es teuer und abweisend arrogant sei. Dafür hat die brisante Mischung aus weltbekanntem Ort, einzigartiger Lage und knappem Boden in den vergangenen fünf Jahren einen gewaltigen Immobilienboom ausgelöst. Der Logik der Anlagerendite folgend, konzentrieren sich die Investitionen fast ausschließlich auf das Luxussegment. Mittelklasse-Hotels wurden zu Luxus-Appartments umgebaut, an zentraler Lage entstanden neue Überbauungen mit bis zu 500 Quadratmeter großen Lofts und im Zentrum baute Sir Norman Foster eine neue Einkaufspassage mit Flagship-Stores von Prada und Gucchi. In die fünf noch bestehende Fünfsterne-Hotels wurde in den letzten fünfzehn Jahren insgesamt 400 Mio. CHF investiert und weitere 200 Mio. CHF sind für die kommenden zwei Jahre geplant. Für Einheimische und die zahlreichen migrantischen Gastarbeiter sind zentral gelegene Wohnungen schon längst unerschwinglich geworden und die sinkende Zahl von Hotelbetten führte zum Verlust von Arbeitsplätzen im lokalen Gewerbe.

 

Die Marke “St.Moritz”

Die Position der Marketingverantwortlichen von “St.Moritz Tourismus” zu diesen Entwicklungen ist ambivalent. Sie verstehen St. Moritz oder genauer “St.Moritz® - Top of the World” in erster Linie als eine Marke. Der Schriftzug und das Symbol der Sonne sind schon seit den 1930 Jahren beim Amt für geistiges Eigentum geschützt, “St. Moritz - Top of the World” seit 1987 eine international registrierte Marke. Umfragen hätten ergeben, dass St. Moritz zu den weltweit am besten bekannten Destinationen überhaupt gehört und die Marke “St.Moritz” demnach das Wertvollste sei, was die lokale Tourismusorganisation besitze. Sie lasse sich zwar nur schwer in Geld umsetzten aber gezielte Lizenzverträge mit einzelnen Luxusprodukten würden bereits soviel Geld einspielen, dass die Marke damit weltweit durchgesetzt und unerwünschte Verwendungen des Namens juristisch verfolgt werden können. So wurde letztes Jahr die Lizenz für den Bau von “St.Moritz” in China vergeben. Eine Delegation des Gemeinderates reiste eigens für die Eröffnung hin. Wahrzeichen des schicken Vororts von Shanghai ist ein Nachbau des schiefen Turms von St. Moritz.
Die Tourismusorganisation verfügt zwar mit “St.Moritz® - Top of the World” über eine “starke” Marke, hat aber für Werbung nur minimale Mittel zur Verfügung. Die reichen nicht einmal, um in der Schweiz einen Werbespot zu schalten geschweige denn in irgend einem andern internationalen Markt. St.Moritz produziert lediglich Broschüren und Informationsmaterial, das größtenteils über die zentrale Schweizerische Tourismusorganisation “Schweiz Tourismus” distribuiert wird. Die lokalen Akteure sind nicht dazu in der Lage, das Image ihrer Destination maßgeblich zu beeinflussen. Allenfalls wird versucht, durch das geschickte Einbinden von Großevents, den einen oder andern Eindruck zu optimieren. So erhoffte man sich von der Austragung der Ski-WM 2006 ein erhöhtes Bewusstsein dafür, dass man in St. Moritz skifahren kann. Befragungen hatten nämlich ergeben, dass viele, die St. Moritz zwar als berühmter Ferienort kennen, nicht wissen, dass er in den Alpen liegt und dass man hier außer Champagner, Pelze und Brillanten auch Berge und Natur antreffen kann.
Touristiker sind sich heute darin einig, dass in einem globalisierten Tourismusmarkt nicht mehr St. Moritz mit Kitzbühel oder Zermatt konkurrieren sondern die Alpen mit den Malediven oder Bali im Wettbewerb stehen. Alles spricht dafür, dass sich – um ihre Konkurrenzfähigkeit zu garantieren –  zunehmend homogenere Imaginationen des “Alpinen” durchsetzen sollten. In unserer Untersuchung stellten wir aber genau gegenteilige Tendenzen fest: Spezialisierung und Ausdifferenzierung sowohl der Erwartungen von Reisenden an die Schweiz und an die Alpen als auch der Positionierung einzelner Destinationen haben in den letzten Jahrzehnten eher zugenommen. Die Zusammensetzung der Gäste in den unterschiedlichen Destinationen variiert stark. Einzelne Orte werden von Gästen aus Deutschland, Japan oder Indien bevorzug besucht, während andere vermehrt Publikum aus Saudiarabien und neuerdings China anziehen. In den vergangenen 40 Jahren sind immer wieder neue Gästegruppen dazugekommen. Neben historischen Kontinuitäten haben sich folglich neue Konstellationen gebildet: Touristen aus Japan entwickelten z.B. in den 1980er Jahren eine besondere Faszination für das Matterhorn und die Destination Zermatt und Reisende aus Indien besuchen seit 2000 bevorzugt das Engelbergertal und den Titlis. Offensichtlich sind ganz unterschiedliche Motive ausschlaggebend dafür, wieso neben dem Eiffelturm oder dem Kolosseum auch die Alpen immer noch ein begehrenswertes Reiseziel sind.
Das Image einer Destination wird also nicht in erster Linie von Fachleuten “gemacht”. Ihre Ressourcen dazu sind in der Regel viel zu begrenzt. Das aktuelle Image ist das Ergebnis eines komplexen kulturellen Austauschprozesses. Reisende sind an diesem Prozess ebenso beteiligt wie Bereiste. Vollkommen neue Bilder haben keine Chance. Die Tourismusprofis versuchen auf der Basis von bestehenden Bildern – oder auch Stereotypen – hie und da ein wenig zu steuern. Im Gespräch mit den verantwortlichen Marketingfachleuten stellten wir zudem fest, dass neue Trends oft erst spät erkannt werden und dementsprechend kurzfristig improvisiert wird. Und dennoch finden laufend Neuformatierungen statt. Wir gehen deshalb davon aus, dass das Selbstverständnis und Selbstbild einer Destination ein komplexes kulturelles Cluster darstellt, was wesentlich durch die gegenseitigen kulturellen Imaginationen der beteiligten Akteure – Reisende und Bereiste – geprägt und ausdifferenziert wird. Man könnte von einem je spezifischen kulturellen Setting einer Destination sprechen. Dieses stellt gewissermaßen eine Quintessenz aus Imaginationen, Vorstellungen, Begegnungen und Erfahrungen dar, die diesen Ort betreffen. In einem zunehmend globalisierten, interkulturellen Tourismus strukturieren Gleichzeitigkeiten und Überlagerungen dieses Aggregat von Vorstellungen. Gerade auf Grund der bemerkenswerten Blickumkehr, die dann geschieht, wenn die im Kolonialismus konstruierten “exotischen” Subjekte des Südens oder des so genannten “Orients” selber massenhaft zu Europa-Touristen werden, können wir nicht davon ausgehen, dass die touristischen Zeichen (Matterhorn, Eiffelturm, Tower Bridge) stabile Bedeutung haben. Sie bieten vielmehr Anlass zu immer neuen Interpretationen oder werden für unterschiedliche Gruppen von Reisenden zu Anknüpfungspunkten ganz eigener Erfahrungen und sie werden dadurch auch zwangsläufig transformiert und relativiert.

 

“Die Russen” von St. Moritz

In den letzten Jahren ist St. Moritz auch wegen seinen neuen Gästen aus Russland in die Schlagzeilen geraten. Es schien, als ob die kursierenden Bilder von St.Moritz sich mit den Imaginationen und Bedürfnisse der Gäste aus Russland ganz besonders decken würden und sie hier ihren neuen Reichtum besonders exzessiv performen und ausleben könnten. Die mediale Resonanz der russischen Gäste verweist auf komplexere Interaktionen im kulturellen Setting der Destination. In Headlines wie “Die Russen kommen!” – Schlagzeilen, die sich übrigens nicht nur auf St.Moritz beschränkten – spiegeln sich einerseits alte Reflexe aus dem Kalten Krieg, andererseits kommen die Ressentiments traditionell privilegierter Millieus zum Vorschein, etwa die des alten Geldadels, der schon seit Generationen zu Gast ist, oder die Abwehrreflexe eines bedrohten Schweizer Mittelstandes, der sich St.Moritz in der Nachkriegszeit erschlossen hat. “Die Russen” treffen in St.Moritz auf ihre eigene feudale Tradition. Zar Nikolaj II ließ sich hier 1913 eigens eine Sommerresidenz bauen. Im Moment wird das Haus – heute Hotel Carlton – mit großem Aufwand saniert und in einen möglichst originalen Zustand zurückversetzt. Die Wiedereröffnung ist zum Beginn der Wintersaison 2007/2008 vorgesehen. Eine Übernachtung in der Zarensuite wird rund 4000 Euro kosten.
Spekulative Investitionen und die damit verbundene Aktivierung von Kapital – Voraussetzung jeder Kapitalumschichtung – stellen ein historisches Kontinuum im kulturellen Setting von St. Moritz dar. Mit diesen Dynamiken scheint St. Moritz auf eigentümliche Weise verbunden zu sein. Der Bau von Großen Hotels ab Mitte des 19. Jahrhunderts verschlang schon damals Unmengen von Geld. Teure Ausstattungsdetails, Kristallleuchter aus Murano, Geschirr aus Meissen und Konzertflügel aus Baden-Baden gehörten selbstverständlich zum Mindeststandard eines Hauses, das den Hochadel Europas zu seinen Gästen zählen wollte. Schon beim Bau des Hotel Palace im Dorfzentrum von St. Moritz wurde in unmittelbarer Nähe zum Hoteleingang ein ganzer Straßenzug mit Geschäften und einem Grand Café angelegt, ein Stück großstädtischer Boulevard zum Ausgehen und Flanieren. Und war der Betrieb einmal angelaufen, verschlangen die immer neuen Events, die zur Unterhaltung der illustren Gäste veranstaltet werden mussten, riesige Summen. Die Opernrevue aus Paris, das Ballett aus St. Petersburg oder eine venezianische Nacht, in der originale Gondeln aus Venedig, durch die unter Wasser gesetzte Hotellobby glitten, gehören zu den überlieferten Highlights der 1870er Jahre. In- und ausländische Investoren lieferten sich schon im 19. Jahrhundert einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft. Im Oberengandin hatte ein französischer Graf mit der Bürgschaft seiner Gattin aus dem Hochadel und belgischem Kapital im Rücken kurzfristig die Nase vorn. Das Hotel Maloja Palace am Ende des Tales verfügte sogar über die weltweit erste Klimaanlage und rund ums Hotel wurde ein alpines “Fantasia Land” aufgebaut, mit einer eigenen Burg, rustikalen Chalets im Stil von Swiss Houses und einer französischen Kirche. Dafür verhinderte der erfolgreichste lokale Akteur in St.Moritz (Hans Padrutt) später, dass die neue Bahnerschließung über St.Moritz hinaus geführt wurde und trug so maßgeblich zum finalen Konkurs des Maloja Palace bei.
Im Kontext des aktuellen kulturellen Settings von “St.Moritz” sind “die Russen” so gleichsam ein Symptom. Man kann sagen, dass St. Moritz als “Ort des Reichtums” immer dann als Schauplatz in den Fokus gerät, wenn sich gesamtgesellschaftlich neue Kapitalverhältnisse abzeichnen. Wie in einem großen Spektakel, treten hier periodisch neuen Akteure auf, die den Mythos von Glamour und Erfolg auf ihre Weise reinterpretieren und mit einer glanzvollen Zukunft spekulieren. In den Diskursen, die das Thema St. Moritz in unterschiedlichen Epochen in den Medien ausgelöst hat, lassen sich zumindest Ansätze von Debatten über die jeweils neuen Verhältnisse erkennen. Und auch die Aufregung um “die Russen”, die aktuellste Welle der Kulturalisierung und der momentane Investitions-Boom ist nur vor dem Hintergrund aktueller Umverteilungen zu verstehen und zu deuten. Die Refeudalisierung von St.Moritz ist Ausdruck einer verstärkten Konzentration von privatem Vermögen nachdem noch in den 1970er Jahren Reichtum demokratisiert und St. Moritz für eine kurze Zeit fast zum Ferienort für alle wurde.
Die Marke “St.Moritz” ist diesem kulturellen Prozessen gegenüber indifferent. Das leere Zeichen bietet aber losgelöst von der realen Destination immer wieder Gelegenheit zu unterschiedlichen Konjunkturen, einmal als Referenz für eine gated gommunity für die chinesische upper class, ein andermal als Symbol für den gesellschaftlichen Aufstieg einer bestimmten Schicht in der sich refeudalisierenden Gesellschaft Russlands. Gerade durch die Globalisierung werden sich rund um St.Moritz als touristische Destination in Zukunft unabhängig von den Strategien der lokalen Promotoren immer neue, unvorhersehbare Bedeutungen ranken. Dabei ist aber schon jezte absehbar, dass Imaginationen von Reichtum und gesellschaftlichem Aufstieg immer eine Rolle spielen werden.

Die Schweiz als Bild

Nicht nur das Image von St. Moritz, auch jenes der Schweiz ist nur verstehbar, wenn man einen kurzen Blick in die Geschichte wirft. Die Schweiz hat sich als moderner Nationalstaat genau zur selben Zeit konsolidiert, in der auch der alpine Tourismus entstanden ist. Schon das kulturelle Selbstverständnis des neuen liberalen und zunehmend demokratischen Staates – z.B. eine eigens dafür kreierte Folklore – war von Bildern geprägt, die bereits den Blick von außen mitaufnahmen. Das erhabenen Panorama der Alpen wurde im 19. Jahrhundert zum zentralen Gegenstand eines schweizerischen Nationalgefühls. Und dies ist stärker von der Schwärmerei deutscher Romantiker oder der Begeisterung britischer Alpinisten beeinflusst als durch die Erfahrungswelt einheimischer Bergbauern. Man könnte sagen, die Schweiz ist im und durch den Tourismus erfunden worden. Im 19. Jahrhundert rückten jene Bilder ins Zentrum nationaler Identität, die den Imaginationen der damals reisenden Eliten aus dem europäischen Adel und dem Großbürgertum entsprachen: Motive einer wild romantischen Gebirgslandschaft verbunden mit der Vorstellungen eines “urtümlichen”, freiheitsliebenden Volkes. Die Landschaft des Vierwaldstättersees z.B. gerät in dem Maße als “Wiege der Eidgenossenschaft” ins Bewusstsein der Nation, als sie  von Fremden besucht und beschrieben wurde. Bilder, die das “typisch Schweizerische” repräsentieren, sind das Ergebnis von Interaktionen von lokaler Akteure mit dem Blick der Reisenden,es sind gleichzeitig nationale als auch touristische Bilder. Schweizerisches Nationalgefühl stellte in gewisser Hinsicht eine pragmatische (und wohl auch geschäftstüchtige) Antwort auf die von außen herangetragenen Erwartungen dar. In historischen Reiseberichten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Schweiz wird meistens die Schönheit der Landschaft gelobt, aber seine Bewohner als ein Volk von Hoteliers beschumpfen; zu wenig stolz und zu sehr darauf bedacht, es allen recht zu machen. Die kapitalistische Transformation der Gastfreundschaft in eine Ware ist zu dem Zeitpunkt schon weit fortgeschritten. Die Schweiz verfügt ab Mitte des 19. Jahrhunderts (1848) über ein stabiles demokratisches System und sie entwickelt sich zwischen den europäischen Großmächten zu einem argwöhnisch beobachteten Hort des Liberalismus. Auf der wirtschaftlichen Ebene führte das zu einer starken Zunahme von ausländischen Investitionen etwa in Industrieanlagen und touristische Infrastrukturen. Auf der kulturellen Ebene wurde die Schweiz bald zu einem der wenigen Orte, wo politisch Verfolgte, Bohemiens, KünstlerInnen und Intellektuelle aus ganz Europa alle möglichen unkonventionellen und radikalen Ideen von staatlichen Kontrollen weitgehend unbehelligt austauschen, weiterdenken und zeitweise auch ausleben konnten. Das “investitionsfreundliche” Klima für Unternehmer –wie man dies heute nennen würde – und der kosmopolitische Geist sind wesentliche Faktoren für den frühen touristischen Boom und in gewisser Hinsicht stellen sie auch einen Schlüssel zum Verständnis der kulturellen Dynamik des Tourismus der Schweiz dar.

Globalisierung des Nationalen

Im Kontext der Globalisierung ist “Schweiz” zu einem ambivalenten Set von Bedeutungen geworden. Dabei spielen die alten touristischen Bilder und die darin eingewobenen historischen Erfahrungen – etwa die einer kosmopolitischen Schweiz – nach wie vor eine wichtige Rolle. Neue Bedeutungen sind hinzugekommen, die Rolle, welche die Schweiz im zweiten Weltkrieg gespielt hat oder ihr eigenwilliges Verhältnis zur EU. Seit dem Ende der 1990er Jahren sind vordergründig widersprüchliche Entwicklungen zu beobachen. Im Kontext neuer transnationaler politischer Praxen ist die politische Schweiz in die Kritik geraten. Einerseits im Zusammenhang mit den nachrichtenlosen Vermögen von Opfern des Naziregimes und andererseits durch eine liberale Steuerpolitik und die Quasi-Beihilfe zur Steuerflucht. Fast zur selben Zeit wird “Swissness” im kulturellen und urbanen Millieu, in der Kunst, im Design in der Grafik und in der Mode zum neuen Hype. Scheinbar ganz ohne jeden Bezug zur realen Schweiz als Nation werden Schweizer Kreuze auf T-Shirts und Taschen getragen, boomt die essentialistische Architektur und das nüchterne Design. Die Entkoppelung von Image und politischem System ist ein Phänomen neoliberaler Politik. Die staatliche Imagepolitik ist seit 2001 professionalisiert. Mit der Organisation “Präsenz Schweiz” wurde eigens ein neues Gremium geschaffen, das sich weltweit für einen koordinierten, integralen öffentlichen Auftritt der Schweiz einsetzt. Dies soll unter anderem durch “Aufbau und Pflege von nachhaltigen Netzwerken mit heutigen und künftigen Meinungsführern” und den Aufbau eines “Kompetenzzentrum für die Wahrnehmung der Schweiz im Ausland” erreicht werden. Das hier gepflegte Bild der Schweiz will nicht mehr in erster Linie potentielle Touristen ansprechen. Eine allgemeine Imagekampagne soll dabei helfen, den Wirtschafts- und Bildungsstandort Schweiz global in ein günstiges Licht zu rücken. Regelmäßige Image-Studien in wichtigen Märkten (z.B. in USA, GB, Russland und China) geben Aufschluss darüber, wie “Schweiz” ankommt und welche Werte und Erfahrungen damit verbunden werden. Die Vision einer schlagkräftigen Marketingorganisation, die aus touristischen Angeboten, Kunst, Kultur und Standortpromotion einen überzeugenden Gesamtauftritt kreiert, entspricht der Logik der Corporate Identity eines Unternehmens. “Schweiz” wird damit zur Marke, die global durchgesetzt werden soll. Neuere Studien würden zeigen, dass die Marke “Schweiz” weltweit mit eher positiven Werten in Verbindung gebracht würde. Dazu gehörten etwa Sicherheit, Ruhe, Stabilität, Verlässlichkeit, gute Bildung und hohe Lebensqualität. Diese sollen in Zukunft auch weiter gepflegt und andererseits gewissen Vorurteilen wie “langweilig”, “ländlich” etc. entgegengewirkt werden.
Wir stellen auch hier einerseits eine erstaunliche Konstanz fest, was die Zeichen und Bilder anbelangt, die mit dem kulturellen Setting Schweiz in Verbindung gebracht werden. Andererseits ist die radikale Transformation von Bedeutungen durch den Wechsel von Kontexten und Akteuren unübersehbar. Die Imagination “Schweiz” beflügelte einst liberale Freigeister und bot – zumindest einer privilegierte Elite – Gelegenheit, sich in den kosmopolitischen Terminals der Grand Hotels jenseits von gesellschaftlichen Zwängen zu begegnen. Heute suggeriert “Swissness” einen Mix aus coolem Design und nachhaltiger Rendite. Dabei spielten und spielen Motive der Distinktion, des Besonderen und Erhabenen immer eine zentrale Rolle und werden auch von neuen Zielgruppen regelmäßig aufgegriffen. Der leidenschaftliche Kampf britischer Alpinisten um die Eroberung der höchsten Gipfel, die Verehrung des Matterhorns durch japanische Gäste, die Begeisterung indischer Touristen für das via Bollywood vermittelte “Paradies auf Erden” und die Imaginationen von gesellschaftlichem Erfolg und Reichtum, die die russischen Gäste mit Urlaub in der Schweiz in Verbindung bringen, sind ständig neue Bedeutungen von “Schweiz”, die unterschiedliche Akteure auf der Basis des kulturellen Settings und im Kontext eines globalisierten Tourismus hervorgebracht haben.


©psp 2007