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Kunst und Tourismus Eine Versuchsanordnung zur Alltagskultur des ausseralltäglichen Erlebens. Peter Spillmann Entstanden im Rahmen des Forschungsprojekts Kunst & Tourismus an der Hochschule Luzern Design & Kunst 2007 Referat im Rahmen der Tagung "Über die Grenze, Vermessung einer Kulturlandschaft", Verband Österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker und Vereinigung der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker der Schweiz, Kunsthaus Bregenz 2007 Peter Spillmann Design, Architektur und Bildende Kunst erfahren im Tourismus eine neue Hochkonjunktur. In dem sich zunehmend diversifizierenden Freizeit- und Ferienmarkt dient die Kulturalisierung der Ausdifferenzierung eines neuen „Qualitätstourismus“. Traditionelle Destinationen etwa im alpinen Raum sollen dadurch für neue Zielgruppen wieder attraktiv gemacht werden. Angesprochen ist in der Regel eine urbane, mobile Elite von Besserverdienenden. Während die Aufwertung des touristischen Erlebnisses durch Hight Art und Kultur vorallem auch der Legitimierung höherer Preise dient und damit zur Refeudalisierung ganzer Destinationen beiträgt, werden die Ferienkulturen der Massen, wo Sonne, Parties, Pop und Events im Vordergrund stehen, aus kultureller Perspektive, aber auch von Seiten der Tourismusforschung traditionell eher kritisiert, abgewertet und in Medienberichten oft sogar skandalisiert. Im touristischen Alltag findet eine ganz spezielle Form des “Kulturkampfs” statt. Um diese Zusammenhänge etwas genauer erfassen und interpretieren zu können, untersuchten wir an der Hochschule Luzern mit einem Team von Kulturschaffenden, KulturwissenschaftlerInnen und Studierenden während einem Jahr aktuelle Projekte in alpinen Erlebniswelten an der Schnittstelle von Kunst und Tourismus. Unser Forschungsgegenstand sind künstlerische oder kunstnahe Ausdrucksformen und Performanztechniken in touristischen Erlebniswelten, die dabei jeweils verwendeten Kultur- und Kunstbegriffe und die unterschiedlichen Motivationen und Motive der Beteiligten. Wir haben unter anderem mit verschieden positionierten Akteuren aus den Bereichen Kunst und Tourismus Interviews geführt, zwanzig zum Teil sehr unterschiedliche Kunstprojekte oder “Kunsteinsätze”, ihr Kontext und die dahinterstehenden Akteure recherchiert und vier Projekte im Sinne von Fallstudien genauer angeschaut.[1] Dabei stellten wir fest, dass Kultur und Kunst in touristischen Kontexten zwar oft von aussen kommen, die touristischen Erlebniswelten aber nicht etwa von urbanen Akteuren und deren Expertisen “kolonisiert” werden, sondern längst eigenständige „Kunstformen“ hervorgebracht haben, die zwischen Populärkultur und Hochkultur nicht mehr unterscheiden und deren Qualitätsbewertung auch nicht von kunstwissenschaftlichen oder ausschliesslich ökonomischen Kriterien sondern vielmehr von der jeweils spezifischen Akteurskonstellation der Initiatoren, der Produzenten und ihres Publikums abhängig ist. Momentan sicher augenfälligster und spektakulärster Ausdruck von Kulturalisierung touristischer Destinationen in den Alpen ist das Revival der Grand Hotels. Wo immer die UFO’s der Belle Epoque überlebt haben, laufen im Moment Bestrebungen, sie in noble fünf Sterne Hotels um- oder besser rückzubauen. Projekte in St.Moritz, Davos oder Zuoz folgen dabei einem ähnlichen Konzept. Die Rekapitalisierung der oft seit Jahrzehnten verschuldeten Betriebe erfolgt über den Verkauf von Luxusappartments in den oberen Etagen des Hauses oder in einem neu zu bauenden Annex. Im Projekt von Herzog & de Meuron für das Hotel Schatzalp über Davos ist direkt neben dem alten Hotel die Errichtung eines Turmes vorgesehen.[2] Seine Höhe von 105 Meter entspricht der Länge des ursprünglich als Sanatorium gebauten alten Hotels. Die für die Realisierung notwendigen Anpassungen der lokalen Bauordnung wurden in einer vielbeachteten Volksabstimmung von der Mehrheit der Bevölkerung gutgeheissen. Das Projekt hat so bereits vor seiner Realisierung Furore gemacht. Man verspricht sich davon viel mehr als nur die Rettung des Hotels. Davos - als “global village” der Polit- und Finanzeliten bereits im “Bewusstsein der Weltöffentlichkeit” - erhofft dadurch zusätzliche Publicity als progressive, urbane Feriendestination. Bei der Realisierung eines andern Projektes, dem Hotel Castell in Zuoz im Oberengadin gingen die Initiatoren einen Schritt weiter.[3] Neben dem obligaten Prestige-Annexbau wurde hier bereits in der Projektierungsphase mit Experten für zeitgenössische Kunst und einzelnen KünstlerInnen zusammengearbeitet. Der Hauptinvestor, Millionenerbe einer wohlhabenden Zürcher Familie und Philantrop führt in seinem Namen eine Stiftung, die ausschliesslich in Weltklasse-Kunst investiert. Er hat sich bereits im Vorfeld der Realisierung des Neubaus lokal engagiert und mit seiner Unterstützung ein breit angelegtes Insito-Projekt ermöglicht. Mit künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum der umliegenden Gemeinden darunter z.B. eine Version der Metro Station von Martin Kippenberger. Auf einem Rundgang durch die Hotelanlage begegen einem nun die Werke von Roman Signer, Pippilotti Rist und Fischli&Weiss. Der Weg zum Hamam führt über einen kunstvoll angelegten Steg von Tadashi Kawamata. Auf dem Hügel über dem Hotel steht eine Installation von James Turell. Die “spirituelle Reinigung” im Lichpavillon, exklusive für Gäste des Hotels. Über Leihgaben aus der stiftungseigenen Sammlung und durch ein Artist in Residence-Programm sollen in Zukunft immer neue “Attraktionen” dazustossen. Das fünfsterne Haus richtet sich an eine urbane, aufgeschlossene Elite von Besserverdienenden oder Vermögenden, die sich den Kurzurlaub in der Aura berühmter zeitgenössischer Kunst leisten können, aber zugleich auch über den nötigen Esprit verfügen, um den Wert der dargebotenen Kunst auch angemessen zu würdigen. Zusammengenommen doch eigentlich recht selektive Kriterien, um einfach mal auszuspannen. Es lassen sich eine ganze Reihe weitere Projekte anführen, die mit einem gezielten Einsatz von Design, Architektur oder (Hoch)Kultur die touristische Wertschöpfung zu optimieren versuchen. Ein weiteres, hier in Bregenz sicher bestens bekanntes Beispiel ist etwa die neue Therme von Vals.[4] Die von Peter Zumthor in den 1990er Jahren gebaute Anlage hat sich in den vergangenen Jahren zum eigentlich Pilgerort eines neuen Schweizer Essentialismus entwickelt und zieht eingeweihte Kenner und Liebhaber aus der ganzen Welt an. Fährt man heute an einem Wochenende mit dem Postauto nach Vals, kann es schon mal vorkommen, dass nicht mehr atmungsaktive Goretex-Gewebe von Wanderer die Szene dominieren, wie sonst überall in dieser Region sondern die schwarzen Anzüge von Architekten und Designer. Die Therme ist zwar Teil eines Hotels aber durch die Mitfinazierung der Gemeinde als öffentliche Anlage konzipiert. Gleich nach der Fertigstellung des Bades wurde der Ort gleichsam vom Erfolg überrollt. Längst ist der Zutritt ins Bad nur noch mit Voranmeldung möglich. Die “Verknappung” des Badespasses ist Teil des Konzepts. Zumthor hat in seinem Konzept die Maximalanzahl der Personen, die sich gleichzeitig im Bad aufenthalten dürfen nicht etwa nach betriebs- oder sicherheitstechnischen Kriterien festgelegt sondern mit Rücksicht auf die Wirkung, welche die Räume auf die Badenden entfalten sollen. Bemerkenswert und im Kontext unserer Forschung bedenkenswert ist der Umstand, dass in allen diesen Projekten unterschiedliche Nuancen des “feinen Unterschieds” eine zentrale Rolle spielen. Dabei geht es offensichtlich nicht nur um die Legitimation eines höheren Preises. Es spielen auch Vorstellungen von besserem Reisen und authentischerem Erleben eine Rolle. Doch bevor ich darauf näher eingehe möchte ich Ihnen noch ein weiteres Projekt vorstellen und damit das Spektrum von Kulturbegriffen und Akspekten der Kulturalisierung im touristischen Raum noch etwas erweitern. „Hannibals Überquerung der Alpen“, ein Freiluftspektakel im Stil einer Rockoper, bildete auch dieses Jahr wieder den fulminanten Abschluss der Wintersaison im Event-Ferienort Sölden.[5] Das Spektakel wurde vor fünf Jahren vom lokalen Seilbahnbetreiber initiiert und wird jeweils von einem lokalen Sporteventmanager organisiert. Als Author und Regisseur engagierten die lokalen Akteure einen Experten für Maschinentheater, auf den sie zuvor durch ein populäres Event von RedBull aufmerksam geworden sind. Das Schauspiel setzt einen immensen Aufwand an Technik und Logistik voraus, kann wegen dem parallel laufenden Betrieb jeweils kaum geprobt werden und wird jedes Jahr nur einmal aufgeführt. Die gesamte Flotte der Pistenfahrzeuge ist als Elephanten im Einsatz. Das Heer der Karthager wird von den Skilehrern der Region dargestellt, Feuerwehr und Rettungsdienste werden für die Bauten aus Schnee und die Beleuchtung des Gletschers aufgeboten. Die Einbindung von über 400 lokalen Darstellern, Pistenbullyfahrer, Bergretter, Skilehrer, Helikopterpiloten und Aerobictänzer, aber auch von bekannten Schauspielern, regionalen und nationalen Sportgrössen und selbst der Luftwaffe ist zweifellos beeindruckend. Neben dem Aspekt des Spektakels, bietet das Event den lokalen Akteuren, den Angestellten und Einwohnern des Dorfes aber vorallem auch Anknüpfungspunkte zur Identifikation mit dem Ort und mit der eigenen Funktion als DienstleisterInnen. Das Spektakel stellt gleichermassen eine Form von karnevalesker Überschreitung oder Party zum Saisonabschluss dar. Hannibals Überquerung der Alpen wurde von den kulturellen Eliten Österreichs und damit von den meisten Medien in den letzten vier Jahren standhaft ignoriert. Dieses Jahr erschien zum ersten mal eine Kritik im Feuilleton des Standards. Darin wird zumindest der grosse Aufwand gebührend gewürdigt. Das Thema bei Hannibal ist weniger Verknappung und feine Unterschiede. Hier werden alle Register gezogen, die die Akteure einer Sport-Event-Destination im Laufe ihres erfolgreichen Aufstiegs vom Bauerndorf zur Ski- und Party-Hochburg zu bedienen gelernt haben. Der freiwillige Einsatz aller verfügbaren Kräfte ist Ehrensache. Aus kommerziellen Motiven oder markteingtechnischen Überlegungen hätte das Spektakel bereits nach dem ersten Jahr abgesagt werden müssen, nachdem es kein namhaftes mediales Echo ausgelöst hat. Aber offenbar steht das für einmal nicht im Vordergrund. Und auch hier lassen sich unzählige weitere Beispiele von kleineren und grösseren kulturellen Events, lokalen Kunstinitiativen und Kulturprojekten anfügen, die wir im Laufe unserer Forschung zusammengetragen haben. Das Spektrum reicht von Ausstellungen in Eisgrotten über Wandbilder an Staumauern bis zu kinder- und familiengerechten Lern- und Experimentierparcours zum Thema Klang und Volksmusik. Die Grenzen zwischen Kunst, Unterhaltungskultur und Marketing-Event sind offen und weitgehend fliessend. Aus kultureller Perspektive werden touristische Attraktionen oft als Inbegriff kommodifizierter oder kommerzialisierter Kultur aufgefasst und kritisiert. Dem Tourismus wird unterstellt, eine ausschliesslich auf ökonomische Verwertung ausgerichtete Maschinerie zu sein. Und die Vorstellung, dass „gute“ Kunst etwas zur Steigerung der Qualität von Erfahrungen und Erlebnissen im Tourismus beitragen könnte, stammt denn auch meistens von Kulturschaffenden selbst. Was dabei kaum beachtet und wenig respektiert wird, ist die eigendynamische und komplexe alltagskulturelle Realität, die touristische Räume und ihre Akteure auszeichnet. In der Sphäre des ausseralltäglichen Erlebens und dazu zählt heute ja längst nicht mehr nur der touristische Raum gelten eigene kulturelle Regeln. Traditionelle Wertmassstäbe sind auf den Kopf gestellt. Was im Museum gute Kunst ist, stärkt im Garten des Hotels vielleicht den Ruf des Hauses und sorgt für die nötige Distinktion, während das Spektakel auf dem Berg zwar vielleicht von mittelmässiger künstlerischer Qualität ist, aber dafür vielleicht eine umso wichtigere Rolle für den Zusammenhalt und die Motivation lokaler Akteure spielt. Wendet man die im professionellen Kunstbetrieb üblichen Kriterien an, etwa was High- und was Low-Art ist, muss man den touristischen Raum meiden. Bis auf wenige angebliche „Lichtblicke“ wie etwa das eben vorgestellte Hotel Castell in Zuoz wäre hier nichts zu holen. Der „oberflächliche Schein“, die „mittelmässige Inszenierung“, das „kommerzielle“ Spektakel dominieren. Für uns war es denn auch interessant festzustellen, dass genau auf der Basis der selben Wertmassstäbe aus kulturwissenschaftlicher Perspektive touristische Praktiken insgesammt immer wieder kritisiert wurden: nichts als Bühnen und Hinterbühnen, gespielte Authentizität, Kommodifizierung oder gar Zerstörung lokaler Kulturen und sozialer Netze, Touristen als ferngesteurte Ignoranten mit mangelndem Sinn für lokale Differenzen und Nuancen, so tönte es. Auch viele aktuelle Arbeiten von KünstlerInnen zum Thema Tourismus nehmen eine ähnliche Perspektive ein. Die herrschenden Verhältnisse werden verdeutlicht, möglichst ungeschminkt dargestellt, eher skandalisiert um angeblich die BetrachterInnen zu „imunisieren“. Oder vielleicht doch eher, um sich kulturell abzugrenzen und um sich selbst seiner eigenen Praxis als kritisch reflektierter Metatourist zu vergewissern? Literatur Beck, Ulrich/Giddens, Anthony/Lash, Scott (1994) Reflexive Modernization: Politics, Tradition and Aesthetics in the Modern Social Order. Stanford CA: Stanford University Press [5] http://www.oetztal.com/main/DE/SD/WI/Events/top_events/hannibal/index.html (alle Links zuletzt am 15.12.07 besucht) |
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