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Route Agricole Überlegungen zur Realisation der Landwirtschaftsausstellung an der Expo.02 1. Die Expo.02 als Arbeitskontext Die Route Agricole entstand im Rahmen des offiziellen Auftritt der Landwirtschaft an der Expo.02. Schweizerische Nationalausstellungen fanden in der Vergangenheit alle 30 bis 40 Jahre statt. Sie sind wie die Weltausstellungen ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert und fand das erste Mal im Umfeld der Gründung des Nationalstaates statt. Den letzten beiden Landesausstellungen 1939 und 1964 attestierte man im Nachhinein immer wieder, dass sie eine ganze Generation geprägt hätten. Die Expos haben immer ganz eindeutig auch ideologische Funktionen gehabt, etwa 39 in der Verteidigung der schweizerischen Version von Patriotismus gegenüber Deutschland und Italien und 64 in Form eines Manifests für die kompromisslose Modernität. Die Ausgabe 2002 fand in der Dreiseenregion um Neuchâtel und Biel, an der Sprachgrenze zwischen französischer und deutscher Schweiz statt und bestand aus 4 Schauplätzen (Arteplages) mit insgesamt rund 60 Ausstellungen und Attraktionen. Die bekanntesten der Monolithe von Jean Nouvel und die Wolke von Dillier & Scofidio. Auch wenn die Verantwortlichen von Expo.02 sich bemühten, den nicht mehr ganz zeitgemässen Kontext Landesausstellung bereits bei der Konzeption mit zu reflektieren, entstanden insgesamt viele Projekte, vor allem privat finanzierte, welche man schlicht als Formen der Propaganda bezeichnen konnte. Mit dem für die 90er Jahre typischen Mix aus Kultur, Erlebnis und Spass wurde der moralische Anspruch und pathetische Ernst früherer Landesausstellungen nur an der Oberfläche scheinbar überwunden. Die landwirtschaftlichen Verbände ihrerseits sahen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass der praktisch jahrhundertealte selbstverständliche Anspruch, dass die Landwirtschaft als patriotische Instanz eine zentrale Rolle in einer Landesausstellung spielt, von den Expoverantwortlichen in Frage gestellt wurde, die genau den traditionalistischen Reflex unterbinden mussten, um das Zeitgemässe ihres Konzeptes nicht zu gefährden. Der gesamte ca. dreijährige Prozess der Ideenfindung, Konzeption und Realisation der Expoagricole fand im wesentlichen in diesem Spannungsfeld statt. Wir waren gezwungen, die unterschiedlichen Interessen ständig kritisch zu reflektieren und entwickelten umgekehrt Strategien, um die Konflikte produktiv ins Projekt mit einzubeziehen, z.B. als thematischer Aspekt der Ausstellung. 2. Die Entwicklung des Themas Um das Thema der Ausstellung überhaupt fassen und formulieren zu können, haben wir als erstes eine grosse Materialsammlung angelegt. Wir sammelten Medienberichte, Nachrichten, Artikel, Texte, Bilder, Filme, Werbebroschüren und Dokumentationen über aktuelle Phänomene und besonders augenfällige Erscheinungen rund um Landwirtschaft. Wir nahmen ausserdem mit einigen ProtagonistInnen Kontakt auf, die wie es uns schien, kritische und unkonventionelle Positionen hatten und sich am Rand der offiziellen Landwirtschaft bewegten. Mit ihnen diskutierten wir darüber, was eine kritische Perspektive sein könnte und wie sie aussehen müsste. Zu den kontaktierten Personen gehörten u.a. VertreterInnen unkonventioneller Wirtschaftsweisen, welche seit Jahrzehnten die industrielle Nahrungsproduktion kritisieren, VertreterInnen von Netzwerken zwischen Bäuerinnen hier und im globalen Süden, die dem Prinzip eines globalen Wettbewerbs der Nahrungsproduzentinnen die Perspektive der Solidarität der Bauern gegenüberstellen. Weitere Inputs betrafen z.B. die besondere Rolle, welche das Motiv des Bäuerlichen im Schweizerischen Dokumentarfilm spielte und eine kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Position und Funktion von Konsumentinnen und Bäuerinnen aus feministischer Perspektive. Die widersprüchliche Vielfalt der Informationen, programmatischen Ansätze und teilweise absurden Bilder und Phänomene die sich daraus ergab, entsprach im wesentlichen der öffentlichen Wahrnehmung von Landwirtschaft. Reale Konflikte und Inkompatibilitäten gehen in der Fülle von sensationellen News, Skandalen und nostalgischem Kitsch unter. Die landwirtschaftlichen Verbände selber deuten das bunte Nebeneinander von globalem Wettbewerb, Hightech, Ökologie und Freizeitangebot als ein Indiz für die Vitalität des Bauernstandes. Um diese jeweils ideologisch gefärbte Romantisierung oder Skandalisierung der Verhältnisse durchbrechen zu können, mussten wir eine eigene, neutrale Perspektive entwicklen. Diese ergab sich im wesentlichen durch die Analyse und den Vergleich des Ressourcengebrauchs in Landwirtschaft und Industrie. Über die Differenzierung zwischen erneuerbaren biotischen Ressourcen - Boden, Pflanzen, Tiere - und nicht erneuerbarer mineralischer Ressourcen - etwa Erdöl aber auch Mineralstoffe - lässt sich ein Konzept der Nutzung bzw. des Verbrauchs von Ressourcen entwickeln. Damit wird der fundamentale Unterschied zwischen den Prinzipien und Regeln einer industriell organisierten Produktion , die auf dem linearen, beliebig skalierbaren aber begrenzten Verbrauch von Ressourcen basiert und einer zwar zyklischen, aber praktisch unbegrenzten Nutzung von biotischen Ressourcen, verhandelbar. Katastrophen und Skandale, wie sie in der industrialisierten Landwirtschaft regelmässig stattfinden, aber auch offensichtliche Widersprüche, etwa zwischen Markt und Ökologie, Landwirtschaft und Naturschutz und die paradoxe Rezeption der Landwirtschaft, irgendwo zwischen Nostalgie und Hypermodernität, sind nicht mehr länger einfach Phänomene, welche die Landwirtschaft von heute ausmachen, sondern Ausdruck einer fundamentalen Krise einer industriell organisierten Gesellschaft, im Umgang mit ihren biotischen Grundlagen. Eine Krise welche offensichtlich nur indirekt, etwa am Beispiel der Landwirtschaft, thematisiert werden kann, weil sie die Grundlagen unserer Gesellschaft betreffen. 3. Grundlegende überlegungen zur Inszenierung Eine Themenausstellungen, oder überhaupt jede Ausstellung, stellt letzlich eine Anordnung von inszenierten Informationen dar. Bei der Konzeption der Route Agricole haben wir versucht, diese Eigenschaft des Mediums gleichzeitig mit der Darstellung des Inhalts zu reflektieren. Die Elemente des Settings, von der Gesamtanordnung der Strasse bis zu den Details der Innenausstattung, wurden sowohl im Bezug auf das Thema und die in der Ausstellung vermittelten Grundthesen ausgedacht als auch in ihrer Funktion als Element einer Ausstellung reflektiert. Massgebend für die Konzeption der Anlage, die Definition der Inhalte und die Inszenierung waren analytische Überlegungen zum Verhältnis Gesellschaft - Landwirtschaft, insbesondere ihre Funktion als Projektionsfläche für unerfüllbare Wünsche und verdrängte gesamtgesellschaftliche Probleme. Uns war klar von Anfang an klar, dass die Landwirtschaftsausstellung an der Expo.02 genau einer dieser Orte ist, wo üblicherweise solche Projektionen bedient und bestätigt werden. Deshalb suchten wir nach Möglichkeiten, die Themen so zu präsentieren und darzustellen, dass naheliegende Bezüge, einfache Bestätigung von Klischees und entsprechende kausale Ketten der Wahrnehmung immer wieder unterbrochen und durchkreuzt werden. Die von uns angestrebte Ausstellung handelte eigentlich von den Auslassungen und Lücken, von den Zusammenhängen, die in der Mainstream-Berichterstattung über Landwirtschaft nicht auftauchen. Da aber die komplexen Verhältnisse, welche sich in den Leerstellen verbergen, nicht einfach über andere, potentiell mehrheitsfähige Thesen und Bilder repräsentiert werden konnten, ohne missverstanden zu werden, musste die Ausstellung selber in erster Linie Leerstellen und Lücken produzieren, mit vielen Andockstellen für eigene Reflektionen. Dies versuchten wir an vielen Stellen über die Dekonstruktion der ausstellungsspezifischen Techniken von Repräsentation zu erreichen, z.B. durch die Verwendung von Antidisplays, durch den Backstagecharakter der gesamten Präsentation, durch des Vermeiden von Hierarchien zwischen den verschiedenen Typen von Exponaten und Text. 4. Stau auf der Route Agricole Der Ort der Ausstellung ist die Strasse, welche im Kontrast zum idyllisch ländlichen Park eigens angelegt wurde. Der erste Anblick, die Strasse mit den im Stau stehenden Transportern und Maschinen und der 24h-Shop, sollte sich den üblichen Bildern und Vorstellung von Landwirtschaftsausstellungen quer stellen. Die Landwirtschaftsfahrzeuge dienen zwar der Wiederekennung, als Zeichen, dass es hier um Landwirtschaft geht, aber der 24h-Shop, Laswagenstau und Strasse und auf den zweiten Blick auch die unübliche Anordnung der Landwirtschaftsfahrzeuge, sollen sich einer einfachen Sicht widersetzen, neue Bilder ins Spiel bringen: Versorgung rund um die Uhr und zu jeder Jahreszeit, entgrenzter Konsum von Nahrungsmittel aus der ganzen Welt, Transport- und Versorgungsstau, Blockade... Die Ausstellung stellt nicht in erster Linie Phänomene der heutigen Landwirtschaft dar, sondern verweist auf ein komplexes Abhängigkeitsverhältnis von der als Industrie- und Konsumgesellschaft geprägten Gesellschaft und ihrer Vorstellung, wie die Ernährungssicherung erreicht werden soll und einer sich danach richtenden oder dadurch konstituierten Landwirtschaft. Das Verhältnis Gesellschaft - Landwirtschaft ist ein kontinuierlicher Aushandlungsprozess, die Strasse, wo sich die Vorstellungen und Bedürfnisse einer Gesellschaft und die mit Hilfe von immer leistungsfähigeren und spezialisierteren Maschinen hochgerüstete Landwirtschaft begegenen, kann auch als ein Symbol dafür verstanden werden. 5. Der 24-h Shop Die Industrialisierung der Ernährung als Konsequenz einer nach den Regeln der Industriegesellschaft organisierten Landwirtschaft diente uns als eine thematische Folie für den Einstieg in die Erzählung. Für die VerbraucherInnen im Supermarkt und anhand der Produktes werden Umfang und Tragweite der industriellen Produktion nur begrenzt sichtbar. Eigentlich werden die herrschenden Bedingung nur dann kurz wahrgenommen, wenn es bei besonders krasse Zwischenfällen zu Medienberichten wie z.B. über BSE kommt. Produktionsstätte, Verarbeitungsanlagen aber auch Zonen intensiver Landwirtschaftlicher Produktion sind nicht mehr länger öffentlich. Produktion von Nahrungsmittel und deren Verarbeitung findet heute nur noch zu einem unbedeutend kleinen Teil in der umliegenden Landschaft oder im überschaubaren Betrieb des Metzgers, Bäckers etc. statt. Diese Zusammenhänge werden gleich zu Beginn des Ausstellungsdurchgangs im 24h-Shop prominent prominent repräsentiert. Hier läuft über 24 Kanäle ein von Marion von Osten speziell für die Ausstellung konzipiertes Video. Aus der Perspektive des Einkaufswagens, wo sich langsam die ausgewählten Produkte einer unsichtbaren KonsumentIn sammeln, fällt der Blick zurück auf das optimierte Setting des Supermarktes, die darin agierenden und reagierenden Co-KonsumentInnen und die Angestellten, welche unablässig Ware einräumen, und das Verkaufsdispositiv wieder herstellen. Dazwischen geschnitten sind Filmsequenzen von Material aus verschiedenen Fernseharchiven mit den üblichen Berichten über Skandale und besondere Auswüchse in und rund um Landwirtschaft: Umweltvergiftung durch Spritzmittel, Batteriehaltung, Nitrat im Salat, BSE, Transportstaus, Tunnelbrände und desolate Arbeitsbedingungen auf Plantagen rund um die Welt. Diese Bilder repräsentieren eine Medienrealität, welche ZuschauerInnen mit Landwirtschaft in Verbindung bringen. Erst die Gleichzeitigkeit aller Informationen und Bilder im Einkaufswagen macht den Prozess des Einkaufens und Konsumierens von Lebensmitteln als ein industriell organisierter Produktionsprozess sichtbar, welcher von der Arbeit auf dem Feld über die Verarbeitung, den Transport, die Herstellung der Auslage im Geschäft, das Auswählen durch die Kunden, das Kassieren, Verpacken und Nach-hause-schaffen bis zur Zubereitung reicht und somit ganz unterschiedliche Arbeitsschritte unter ganz unterschiedlichen Bedingungen miteinander verbindet. Der Eindruck einer grossen Maschine wurde auch durch den ohrenbetäubenden Lärm aus gleichzeitig 24 Supermärkten unterstützt. 6. Thematischer Aufbau der Erzählung Die verschiedenen Themen Natur und Landschaft, Konsum, Globalisierung, Bauern als kulturelles Bild, Politik und Modernisierung, welche auch das gesammelte Material evozierten, wurden auf der Basis unserer Analyse der Ressourcennutzung bzw. des Verbrauchs neu geordnet und gedeutet werden. Der letzte Wagen auf der Route Agricole verweist in Form von neun Thesen auf den fundamentalen Unterschied zwischen dem Verbrauch und der Nutzung von Ressourcen. In den acht Wagen davor werden aus verschiedenen Bereichen Phänomene und ihre jeweiligen gesellschaftlichen Deutungen vorgeführt. Die Reihe der Thematisierungen beginnt mit dem Begriff der Natur und dem Verhältnis zu Landschaft, läuft über den Konsum, zur Globalisierung als grösserer Kontext. In einer zweiten Sequenz, ab Wagen 5 der Kolonnen werden die eher kulturhistorischen Aspekte, das Bauernbild und die Transformation und Funktion der Agrarpolitik sowie die Bedeutung der Modernisierung im Bereich der Agrarwirtschaft behandelt. Das Prinzip der Nutzung bzw. des Verbrauchs taucht als Motiv in jedem Wagen und in jedem der angesprochenen thematischen Konzexten wieder auf. Etwa im Wagen 1, wenn mit Natur in erster Linie das Wilde gemeint ist oder in Wagen 2 bei der Gegenüberstellung von Kulturlandschaften, die durch kreative Nutzung biotischer Ressourcen entstandenen sind, heute aber nicht mehr genutzt dafür erhalten werden, und Bodenverbrauch durch Wachstum der Agglomerationen und durch die Einrichtung immer neuer Schutzzonen und der Fortsetzung der Agrokultur im Biotechnologielabor. Das selbe Motiv taucht auch im Wagen 3 auf, wo am Beispiel der Milch darauf verwiesen wird, wie parallel zur Industrialisierung der Lebensmittelverarbeitung aus den Produzentinnen (BäuerInnen) RohstofflieferantInnen und aus kreativen Hausfrauen passive VerbraucherInnen wurden oder im Wagen 8, wo aufgezeitgt wird, dass die Modernisierung im Agrarsektor entlang der Frage des Ressourceneinsatzes immer Widersprüche zwischen Modernität und Rückständigkeit hervorgebaracht hat. 7. Die Methodik der Erzählung Durch die im Stau stehenden Lastwagenbrücken ergab sich im Innern eine ganz spezifische räumliche Organisation der Ausstellung. Einmal sind durch die standardisierten Masse von Transportcontainern die Raumdimensionen definiert. Vergleichbare Ausstellungsvolumen kennt man von mobilen Informationsausstellungen wie sie im Zusammenhang mit politischen Aktionen oder Aufklärungskampagnen angewendet werden. Ein Beispiel sind die Agiprop Züge der Bolschewisten, welche in den 20er Jahren durch Russland rollten, aktueller etwa Informationskampagnen von Bundesämtern zu Gesundheitsthemen (Kardiomobil, Höhrberatung etc.). Auf der Route Agricole repräsentieren die in einer Kolonne aufgestellten fünf einzelnen und zwei doppelten Lastwagenvolumen je ein Themenbereich. Die einzelnen Themen wurden gegen aussen durch eine grossflächige Beschriftung der Planen deklariert. Themenabfolge und die Länge der Ausstellung sind somit bereits von aussen einseh- und absehbar. Die Interieurs der einzelnen Wagen waren im wesentlichen symmetrisch, rund um einen Mittelgang angelegt. Beim Betreten des ersten Wagens konnte man das im hintersten Wagen angebrachte Blinklicht sehen. Diese Raumordnung ergab sich teilweise aus den Sicherheitsvorlagen der Expo.02, welche minimale Durchgangsbreiten vorschrieb, aber die dadurch entstandene Linearität und Transparenz der räumlichen Anordnung wurde von uns auch bewusst dafür eingesetzt, den Zusammenhang zwischen der Gesamtsicht und den einzelnen Erscheinungen herzustellen. Aus der Reihe von Lastwagen ergab sich auch ein naheliegender Besuchsrundgang, von vorne nach hinten, der Reihe nach. Einzelne Wagen konnten aber problemlos übersprungen oder mehrmals besucht werden, es gab keine Absperrungen oder Leitsysteme zwischen den Wagen. Um bei Andrang Staus zu vermeiden, war in den einzelnen Wagen einzig die Gehrichtung festgelegt. Im Innern der Wagen haben wir diese Linearität aufgelöst. Für die Besichtigung der Exponate gab es keine vorgeschriebene Abfolge. Exponate und Informationen wurden sowohl Links wie Rechts und zum Teil auch in der Flucht vorwärts und rückwärts angeordnet. Als Exponate bezeichneten wir alle Objekte, Bilder, Texte, Videosequenzen und Töne, welche für die Inszenierung benutz wurden. Zwischen den Exponaten gab es keine Hierarchien. Einzelne Objekt, z.B. die Prismenwand im Wagen 1, sind in ihrer inhaltlichen Relevanz sicher stärker wahrgenommen worden, als die eher zum Ambiente gehörenden Gegestände, z.B die künstlichen Büropflanzen. Im Prinzip haben wir aber alle verwendeten Gegenstände so ausgewählt, dass sie nicht Themen illustrieren sondern Andockstellen für Geschichten bilden, eigentliche Bildrätsel darstellen. Der Minidschungel im Wagen 1, aus lauter künstlichen Büropflanzen, schafft zwar einerseits ein Ambiente, welches Natur symbolisiert, aber er verweist auch gleichzeitig auf die Geschichte der Entdeckung und Domestizierung von Natur, die eng mit der Geschichte der Kolonialisierung und der ambivalenten Faszination am Exotischen verbunden ist. Die BesucherInnen stossen in jedem Wagen auf einen thematischen Cluster von Informationen, Bildern und Eindrücken, wobei jede/r selber entscheiden kann, wie lange, wie intensiv und in welcher Reihenfolge er/sie sich damit auseinandersetzen will. Das mehrschichtige, assoziativ vernetzte und detailreiche Interieur der einzelnen Wagen stand in einem produktiven Kontrast zur Linearität und Übersichtlichkeit der Gesamtanordnung. Der grosse inhaltliche Bogen erschloss sich durch die Bewegung im Raum, den Spaziergang durch das Gesamtsetting. Zwischen den einzelnen Wagen eröffnen sich im Sinne eines Spektakels, überraschende Ausblicke auf überdimensionierte Maschinen im Vordergrund und die von der Agglomeration gezeichnete Ländlichkeit am Horizont, im Sinne eines Spektakels. Die Auseinandersetzung mit einzelnen komplexen Zusammenhängen und Erscheinungen, das Betrachten von Bildern und Lesen von Texten setzte dagegen Stehenbleiben und punktuelle Konzentration voraus. 8. Display und Design Die Geschichte vom Transport - von Waren, Ideen, Ansprüche und Bildern - welche mit der Inszenierung der Route Agricole erzählt wird, hat auch die Gestaltung der Innenausstattung der einzelnen Wagen bestimmt. Jeder Wagen transportiert Materialien, Ideen und Informationen zu einem Themenbereich. Bei der Entwicklung der notwendigen Displays wendeten wir den einfachen Trick an, das Bild von transportierten Informationen wörtlich zu nehmen, und suchten für jeden Wagen nach Objekten oder. nach einer Gattung von Transportgut, welche zu den einzelnen Themen als eine Art inhaltliche Klammer gelesen werden kann. Für die Themen Natur und Landschaft sind es Pflanzen, beim Konsum Verkaufs-Display und Ladeneinrichtungsteile, bei der Globalisierung eine Handeslware des täglichen Gebrauchs - Wasser - , bei den Bauernbildern sind es die Bilder als reale Objekte selbst, historisches und aktuelles Inventar aus Verwaltungsbüro bildet die Basis beim Thema Politik und Teile von den heute auf landwirtschaftlichen Betrieben üblichen technischen Anlagen (Melksystem) stellen das passende Ambiente für Aussagen über Modernisierung her. Im letzten Wagen schliesslich, werden die der Ausstellung zugrunde liegenden Thesen als Stapel von Flugblättern transportiert. Im Laufe unserer Recherchen habe wir aus dem Grund verschieden Firmen besucht, die auf Verpackung, Lagerung und Transport von Gütern spezialisiert sind. Die gesamte Ästhetik unserer Displays ergibt sich so aus vorgefundenen realen Materialien, Behältern und Verpackungstechniken. Die Idee des Displays selber, als geschmackvoll gestalteter Träger von Information bzw. Rahmen, Sockel oder Vitrine für Exponate, wurde durch die Rückführung auf Basisfunktionen, durch welche sich die Transportinfrastruktur und die hier benutzten Techniken auszeichnen, - zweckmässiger Schutz, billige Stabilität, genormte Dimensionen - als potentiell ideologisches System hinterfragt. Es stellte sich heraus, dass die Ästhetik des Transports für unseren Ansatz der Erzeugung von Leerstellen sehr produktiv war. Das Transportambiente wirkte der Auratisierung von Exponaten entgegen. Etwa bei den Bildern im Wagen Images wurde mit den Transportkisten und Schutzrahmen der kulturelle Apparat, welche diese Bilder legitimiert und bedeutungsvoll macht, genauso ausgestellt wie die Bilder selber. Die in den Wagen Politik eingelagerten Möbel, aus verschiedenen Epochen der Bürokratie, dekonstruieren in ihrem derangierten Zustand die Autorität, die normalerweise in Ämtern und Verwaltungen über aufwändige Repräsentationssysteme hergestellt wird. Palletten voller Flugblätter im Wagen Ressourcen schliesslich, sollen die Grenzen der Distribuierbarkeit von komplexen und abstrakten Inhalten vor Augen führen. Die ernüchternde Einsicht zum Schluss, ist durchaus selbstkritisch gemeint und betrifft auch den Anspruch der eigenen Ausstellung. 9. Text und Information Text hat in Informationsausstellungen oft eine erklärende Funktion und spannt Bilder, Objekte und Videos für sich ein, als Illustration von Thesen und kausalen Aussagen. Um die übliche Hierarchie zwischen Text und Exponaten zu durchbrechen, tauchte Texte in der Route Agricole auf vier unterschiedlichen Ebenen auf, die je unterschiedliche Funktionen erfüllten. Jeder Wagen verfügte über 1 bis 3 Leittexten, in welchen inhaltliche und analytische Fährten gelegt wurden ohne Erklärung zu sein. Die Leittexte wurden auf spezielle Metalltafeln gedruckt, damit sie als eigenständiges, wiederkehrendes Format erkennbar sind und so als ein verbindendes Element zwischen den Wagen funktionieren. Wichtigeren Exponaten waren Subtexte zugeordnet, in welchen einzelne Geschichten und Erscheinungen erzählt und dargestellt wurden. Für Subtexte gab es zwar typografische Vorgaben, die Umsetzung erfolgte aber auf verschiedene Weisen, je nach Exponat und Kontext, als Aufdruck, als Aufkleber oder als Schild. Subtexte vermittelten Inhalte und zusätzliche Informationen zu den Exponaten auf der gleichen Ebene wie die Bilder und Videos. In einigen Wagen wurde Text schliesslich selber zum Exponat, etwa dort, wo Zitate von Politikern ausgestellt waren. Auf einer vierten, technischen Textebene waren alle Angaben zu Herkunft, Entstehungsjahr, Quelle etc. der Exponate in Form von Legenden abrufbar. Diese wurden mittels Siebdruck, ähnlich wie technischen Beschriftungen an Maschinen, direkt auf die Seitenwände der Lastwagenbrücken appliziert. 10. Die Arbeitsweise Hinter der Realisation der Ausstellung Route Agricole steht ein Team von rund 30 Personen. Dazu gehören eine Produktionsleiterin, SzenografInnen, Architekten, Landschaftsarchitekten, GrafikerInnen, eine Ausstatterin, Holz- und Metallbauer, ModellbauerInnen, Filmemacher, Videocutterin, Tonspezialist, AV-Berater etc. Der Entstehungsprozess lief in vier Phasen ab. In der ersten Phase wurde eine Ausstellungsidee entwickelt, die in den Verhandlungen zwischen der Expo.02 und einer potentiellen Trägerschaft aus der Landwirtschaft als Modell diente, um unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen zu kommunizieren. Das Ziel war die Konstitution einer Trägerschaft, welche das Projekt finanzierte. In der folgenden, sechs Monate dauernden Vorprojektphase wurde das Konzept erarbeitet, wie die unterschiedlichen Elemente der Ausstellung im dafür vorgesehenen Areal untergebracht und erschlossen werden könnten. Der Schwerpunkt der Arbeit lag bei den Landschaftsarchitekten und den Architekten, welche die Entwürfe für die Veranstaltungsinfrastrukturen entwickeln mussten. Als Vorgaben und Bauprogramm dienten die ersten Ideenskizzen einer Ausstellung und die unterschiedlichen, von Seiten der Trägerschaft formulierten Bedürfnisse. Auf Grund unterschiedlicher Zeithorizonte, mussten die Bauprojekte zu einem Zeitpunkt fixiert und gestartet werden, als die Ausstellung erst als Idee formuliert war. Erst in der dritten Phase der Umsetzung, ca. ein Jahr vor der Eröffnung, konnte das Konzept der eigentlichen Ausstellung weiterentwickelt werden. Wir starteten eine umfangreiche eigene Materialrecherchen und erarbeiteten als Ergänzung oder besser Reaktion auf das bestehende architektonischen Raumkonzept, die Szenografie. Zum SzenografInnenteam gehörten Marion von Osten und Michael Zinganel. Die Materialrecherchen wurden im wesentlich von Rayelle Niemann organisiert. Erst zu dem Zeitpunkt entstand das Konzept der Route Agricole als Strasse. Parallel dazu und im gegenseitigen Austausch wurde mit Peter Moser, einem auf Agrargeschichte spezialisierten Historiker, eine tragfähige inhaltliche Struktur für die Ausstellung entwickelt. Alle die unterschiedlichen Elemente wurden in einem Storybook zusammengeführt, dessen letzte Version ca. ein halbes Jahr vor der Eröffnung vorlag. Unsere inhaltlichen und formalen Vorstellungen mussten wir regelmässig den Verantwortlichen von Expo und Landwirtschaft präsentieren. Die eigentliche Produktion begann mit dem Auftrag für den Bau der Wagen und die Produktion der Planen durch ein Karosserie Unternehmen. Die Ausstellungsausstattung wurde dann innerhalb von 6 Monaten in einem speziell dafür bezogenen Atelier unter der Leitung von Doris Berger, einer Filmausstatterin und dem Grafikteam version schnitthoz, Natalie Seitz und Martin Balmer erarbeitet. Die Settings der einzelnen Wagen haben wir mit Hilfe von Maquetten der Reihe nach 1:1 aufgebaut, ausprobiert, diskutiert und umgestellt und anschliessend die notwendigen definitiven Teile beschaffen oder selber gebaut. Gleichzeitig entstanden im Labor k3000 die verschiedenen Medienproduktionen (Video und Ton), welche in der Ausstellung integriert sind. Die einzelnen Teile haben wir schlussendlich ca. 1,5 Monate vor Eröffnung vor Ort in die zuvor aufgestellten Wagen eingebaut. Es blieb dann noch einige Zeit um Korrekturen vorzunehmen und Verbesserungen anzubringen, dort wo wir nach einer ersten Besichtigung der definitven Ausstellung noch auf offensichtliche Fehler stiessen oder Umsetzungsideen nicht funktionierten. Während dem gesamten Entwicklungsprozess der Ausstellung gab es zwei Konflikte, die immer wieder zu Diskussionen und auch zu Anpassungen und Kompromissen führten. Innerhalb des Teams erwies sich die Zusammenarbeit zwischen den eher formalistisch ausgerichteten Architekten und den künstlerischen Strategien der Szenografie als schwierig. Sichtbar wird dieser Konflikt z.B. am 24h-Shop, wo ästhetische und aktionistische Ansprüche zu einem nur teilweise befriedigenden Kompromiss geführt haben. Ausserdem sah das ursprüngliche Konzept z.B. für die Route Agricole eine radikalere Umsetzung vor, eine richtige, geteerte Strasse, die zusätzlich von einer Serie Billboards flankiert wurde, um die Landschaft als Austragungsort der angesprochenen Auseinandersetzungen stärker zu betonen und um dem spektakulären Einbruch der Information und Bilder ins traditionell Ländliche mehr Reibungsfläche zu bieten. Während ein reales Stück Strasse dem Landschaftsarchitekten zu plakativ war und von ihm deshalb parkkonform modifiziert und mit einem Kies/Splittbelag ausgeführt wurde, fielen die Billbords schlussendlich aus Kosten- und Kapazitätsgründen weg. Die zweite wesentliche Konfliktlinie verlief zwischen uns als AusstellungsmacherInnen und der begleitenden Fachkommission. Die begleitende Fachkommission, die gleichzeitig die Projektträgerschaft vertrat und dadurch eine gewisse Kontrollfunktion hatte, war mit einer künstlerischen Arbeitsweise und mit dem Ausstellungsmachen wenig vertraut und deshalb kaum in der Lage, die einzelnen Schritte des Prozesses, unsere Überlegungen, die zu den definitiven Umsetzungen führten nachzuvollziehen und das Storybook und die fertigen Pläne zu verstehen. Daraus ergab sich u.a. viele redundante Diskussionen und ein grosser zusätzlicher Vermittlungsaufwand bis ganz am Schluss, wo der Kommission sozusagen die fertige Ausstellung nochmals erklärt werden musste. Peter Spillmann 8/2003 |
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