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Parameter einer kritischen künstlerischen Praxis

Die traditionell der Kunst und den KünstlerInnen zugeschriebenen gesellschaftlichen Bedeutungen und Rollen erweisen sich bei einer kritischen Betrachtung als Produkte einer aufklärerischen, bürgerlichen und ökonomistischen Ideologie. Während Kunst gleichbedeutend für authentische Erfahrung steht, verkörpern KünstlerInnen das unabhängige selbstverwirklichte Subjekt, welches in einem stellvertretenden Akt die alltäglichen Zwänge und Normalitäten kompensiert und dabei eine progressive, gesellschaftserneuernde Vorbildfunktion erhält. Das gesellschaftsverändernde und oft politische Potential künstlerischer Praxis wird in der traditionellen Kunstauffassung durch die Konstruktion des individuellen geniösen Künstler Subjekts, des autonomen Kunstwerks und durch das Propagieren des moralischen Anspruchs auf Authentizität systematisch unterschlagen. Kontinuierliche Vereinnahmung durch Herrschaftsinteresse und die dagegen gerichtete avantgardistische Innovation sind im Kontext dieser Logik zwingend und werden vom Establishment und den KünstlerInnen selber ständig reproduziert. Die den KünstlerInnen und ihren Werken zugewiesenen Funktionen sind jedoch längst selber Gegenstand einer kritischen künstlerischen Praxis geworden und es haben sich oft ausserhalb der anerkannten, institutionellen Strukturen eigene Zusammenhänge gebildet. Kunst kann an der Stelle vielleicht am ehesten als sich selbst organisierende und selbst-legitimierende kulturelle Praxis beschrieben werden. Über die kritische Auseinandersetzung mit einer durch Repräsentation und Darstellung gebildeten Realität und durch diskursbildende Reflexion vorgefundener Rollen und Verhältnisse eröffnen sich dabei Möglichkeiten, um gesellschaftliche Konditionen umzudeuten und zu verschieben.
Die Auswirkungen des im Moment stattfindenden Paradigmenwechsel lassen sich z.B. anhand der folgenden fünf Themenbereichen und den damit verbundenen kritisch werdenden Begriffen skizzieren.


1. Das Künstler Subjekt

Traditionelle Modelle von Kunst suggerieren ein speziell geprägtes Subjekt, Menschen mit ausserordentlichen Fähigkeiten und Begabungen, welche Künstler genannt werden und denen man die Kultur zu verdanken hat. Mit dieser etwas überzeichneten Formel ist die bis in "alternative" Zusammenhänge hinein kaum hinterfragte Konstruktion eines Künstlersubjekts, mit den ihm zugeschriebenen Eigenschaften und Verhaltensweisen angesprochen.
Künstler erhalten innerhalb von dieser Konstruktion eine ausgleichende, kompensierende Rolle zugeteilt. "Echte künstlerische Eigenschaften" sind oft identisch mit den in gültigen gesellschaftlichen Konventionen verdrängten oder verbotenen (aber durchaus bewunderten) oder zumindest nicht der Norm entsprechenden Fähigkeiten und Verhaltensweisen. Die Option Künstler stellt somit eine Art gesellschaftliches und im Rahmen der als normativ erlebten Sozialisation auch persönliches Ausweichsterritorium dar, wo progressive, individualistische oder idealistische Verhaltensweisen sinnvoll integriert und toleriert werden können. Dabei erfolgt die Integration oft über positive Umdeutungen und Aufwertungen einzelner, den KünstlerInnen zugeschriebenen Eigenschaften, so etwa im Rahmen neoliberaler Modelle, wo der Künstler als innovativer, flexibler und selbstverantwortlicher Unternehmer zum Modell für eine neue, erfolgreiche Elite wird. Das Künstlersubjekt, im Spannungsfeld zwischen Marginalisierung, Hype und Verehrung weist ähnliche Züge auf, wie alle anderen, innerhalb der westlichen und patriarchalen Logik der Ausgrenzung geschaffenen sozialen Kategorien, Rassen und Geschlechtern. Das spezifische Künstlersubjekt ist vor dem Hintergrund einer posthumanistischen Kulturkritik nicht länger aufrecht zu erhalten, es ist demnach angebracht darüber nachzudenken auf welchem Selbstverständnis kulturelle Arbeit sonst noch basieren könnte


2. Das Werk

Neben dem Künstler Subjekt ist das Werk die zweite, scheinbar objektive Kategorie, welche gebildet wir um Kunst als etwas von der gesellschaftlichen Realität gesondertes begreifen zu können. Das Werk ist sozusagen das Beweisstück über welches sich z.B. auch eine historisch begründete Legitimation der Existenz von Kunst herleiten lässt, indem alle möglichen Gegenstände aus den verschiedenen Epochen und kulturellen Zusammenhängen herausgelöst und im willkürlichen Kontext von Kunst als Werke rezipiert werden. Um gleichzeitig das Kunstwerk von der inflationären Menge der übrigen Gegenstände abzugrenzen, braucht es Kriterien, um das Besondere zu beschreiben, diese werden z.B. über Vorstellungen wie Authentiziät, Original und Aura in Verbindung mit dem dafür bürgenden Künstlersubjekt angeboten.
Über den Anspruch, den Besitz und die Kontrolle von Kunstwerken läuft denn traditionellerweise auch die Vereinnahmung von kulturellen Prozessen von Seiten des Establishments, indem diese als Instrumente der Repräsentation und zur symbolischen Sicherung von Vorsprung eingesetzt werden.
Der Warencharakter, den erfolgreiche Werke dabei haben müssen, steht nach wie vor im Vordergrund, obschon sich abzeichnet, dass vor dem Hintergrund komplexer Dienstleistungsprozesse, wie sie im Moment in der Wirtschaft ja vorallem produziert werden, durchaus ein Verständnis für andere Formen von Kunstwerken, etwa für temporäre Prozesse, Interventionen und Untersuchungen etc. breit macht. Das ändert jedoch wenig am grundsätzlichen Verhältnis, welches dadurch zu kulturellen Prozessen geschaffen wird und im wesentlichen der aktuellen Warenlogik bzw. Dienstleistungslogik entspricht.
An der Stelle scheint es angebracht noch einmal neu über die Anwendung von Medien und die Distribution von Informationen nachzudenken und darin nur noch situative, auf den inhaltlichen und sozialen Kontext bezogene Strategien zu entwickeln.


3. Legitimation über den Kunstkontext

Der Kunstkontext ist ein kontrollierter Bezirk. Hier gelten nach wie vor die traditionellen Paradigmas bei der Rezeption und Beschreibung von Kunst. Andererseits gilt, nur was in diesem spezifischen Kontext verhandelt wird, ist letztlich Teil des Kunstsystems. Der angesprochene Komplex umfasst Museen, Sammlungen, Förderungsinstitutionen, Institutionen des Kunstmarktes, wie Galerien und Messen, Distributionsmedien und Fachzeitschriften und wird durch die Partizipation von Protagonisten wie KünstlerInnen, KuratorInnen, KritikerInnen, TheoretikerInnen und dem Publikum laufend konstituiert.
In den letzten 9 Jahrzehnten sind von EinzelkünstlerInnen, ganzen Gruppen und von den aus dem Kontext Ausgeschlossenen zahllose Strategien entwickelt verwendet worden, um den gegebenen Kontext zu unterwandern. Diese haben wohl das Repetoire möglicher künstlerischer Ausdrucksformen gewaltig erweitert aber auch gleichzeitig den durch sie mitgestalteten Kontext ständig erneuert und bestärkt.
Um mit künstlerischer Praxis andere gesellschaftliche und kulturelle Bedeutungen zu bilden als die des Kunstkontexts, müssen die Arbeitsfelder verlagert werden und in- und ausserhalb des bestehenden Kunstsystems Subsysteme entwickelt werden.


4. Authentizität

Hinter dem gegenüber künstlerischen und kulturellen Formulierungen erhobenen Anspruch nach Authentizität verbirgt sich in Wahrheit der Anspruch auf Kontrolle und Autorität. An der Stelle, wo scheinbar fundamentale Werte angerufen werden, sollen bestehende Konventionen, unausgesprochene Einigungen und damit die geltenden Konstellationen von Einfluss und Macht erneuert und bestärkt werden. Wenn im Zusammenhang mit Kunst von Authentizität geredet wird, ist dies vergleichbar mit der Berufung auf die Natur (etwa in der Wissenschaft), den Markt (in der Wirtschaft) oder auf typische (meist negative) Eigenschaften von Gesellschaftsgruppen in einer diskriminierenden, politischen Praxis.
Über das Argument Authentizität werden einzelne Personen und auch ganze Zusammenhänge, welche im kulturellen Feld arbeiten auf sich selber zurückbezogen. Vielschichtige, vorallem auch gesellschaftliche (und damit politische) Zusammenhänge werden ausgeblendet und die differenzierte Topografie von Beziehungen und Einflüssen eingeebnet.
Die Forderung nach Authentizität tritt im Umgang mit Kultur an jeder Stelle und in vielfältigen Nuancen zu Tage, etwa in der Überbewertung von originalen Werken, ursprünglichen Eigenschaften und Ritualen, einmaligen Ereignissen, echten Emotionen und wahren Darstellungen. Auch kritische Projekte, getragen etwa von der Forderung nach umfassender Transparenz und echter Alternative, kreieren eigene Dimensionen der Authentiziät.
Der Authentizitäts-Falle entgehen nur temporäre und kontextbezogene Arbeitsansätze, wo die eigenen Kriterien laufend überprüft, bestehende Verhältnisse und Beziehungen hinterfragt und die sich festsetzenden Hierarchien und autoritären Bezugssysteme aufgelöst werden.


5. Innovation und kultureller Mehrwert

Innerhalb einer kulturellen und künstlerischen Praxis scheint der Zwang zur ständigen Innovation umfassend. Um sich den etablierten Wahrnehmungsmustern immer wieder zu entziehen, werden nicht nur auf der formalen sondern auch auf inhaltlicher und strategischer Ebene ständig neue Nuancen des Ausdrucks, der Darstellung und der Formulierung entwickelt. Darin unterscheidet sich kulturelle Praxis nicht von wirtschaftlichem Handeln. Die Produktion von kulturellem Mehrwert entspricht der Logik des finanziellen Mehrwerts und fügt sich auch meistens nahtlos in eine wirtschaftlich spekulative Strategie ein.
Entsprechend gross ist denn auch die Nachfrage nach jungen, neu und trendy wirkenden Positionen, aber auch kritische und widerständige Gegenpositionen und die kritische theoretische Aufarbeitung kultureller und gesellschaftlicher Bedingungen passen ins Konzept der Innovation. Im konventionellen Kulturverständnis wird der wie auch immer erarbeitete Mehrwert ausschliesslich zu Gunsten der individuellen Akkumulation von Kapital, Prestige und Bekanntsein abgeschöpft.
Aus der Logik des (kulturellen) Mehrwertes, welcher zwangsläufig von neuen kulturellen Entwicklungen erwartet und gefordert wird, ergibt sich die scheinbar zwingende Perspektive der Avantgarde und des Fortschrittes unter welcher Kultur nicht mehr als ein gesellschaftliches, kollektives Feld des freien Austauschs von Ideen und Lebensentwürfen wahrgenommen werden kann, sondern zum Terrain ambitionierter, sich konkurrenzierender privater Ansprüche verkommt.


© Peter Spillmann, 2/1997

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