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Die 'imaginierte
Weiblichkeit' der Städte
Zum Verhältnis von
Stadt und Frau im Film
von Suzanne Bachmann
Die filmische Darstellung von Städten und von Frauen
wird unter dem Aspekt ihrer ideengeschichtlichen
Verknüpfung betrachtet, d.h. es wird gefragt, welche
Rolle Frauenbilder bei der Porträtierung einer Stadt
spielen, welche Weiblichkeitsmetaphern verwendet werden, in
welchem Kontext sie auftreten etc. Denn die Erzählung,
Beschreibung und Darstellung einer Stadt, ihre
Imaginationsgeschichte, prägt unsere Art und Weise der
Wahrnehmung, unser Erleben eines Ortes mit. Stadt und Raum
werden dabei nicht als objekthaft, sondern als von den
Subjekten sinnhaft konstituierte soziale Wirklichkeiten
angesehen. Damit ist in diesen auch die Geschichte der
Geschlechterverhältnisse eingeschrieben. Dem Film kommt
dabei als Massenmedium insofern eine bedeutende Rolle zu,
als er unsere Wahrnehmung der Welt ausserhalb unserer
eigenen Erfahrung prägt. Im Film werden Vorstellungen
und Bilder übermittelt die wir im Alltag (oft) nicht
überprüfen können, uns jedoch spezifische
Denk- und Abbilder einer Stadt liefern.
Untersuchungen in der Literaturgeschichte zeigen auf, dass
zur Beschreibung der Stadt oft Weiblichkeitsbilder
herangezogen werden, oder die Stadt weiblich sexualisiert
wird.1 Beginnend bei den Gründungsmythen zieht sich
diese Verknüpfung über die weiblichen
Städteallegorien bis in die Literatur der Moderne
hinein. Besonders mit dem Aufkommen des Phänomens
Grossstadt/Metropole entstanden neue Bilder und Phantasmen
die mit Weiblichkeitsmetaphern operieren. So wird z.B.
Berlin einmal mit dem Etikett 'Hure Babylons' versehen, ein
anderes Mal als 'ein Mädchen in einem Pullover'
charakterisiert. Bei der Figuration der Stadt als
Körper treten Imaginationen der bedrohlichen und
verschlingenden Frau bis hin zu Phantasien der
begehrenswerten, sich dem Entdecker hingebenden Frau auf. In
dem Gedicht 'Grossstadt' (1946) von Wolfgang Borchert ist
die Metropole sowohl Göttin, Hure als auch Mutter. Die
Beschreibungen bedienen sich bestimmter Stereotypen von
Weiblichkeitsvorstellungen, die mit spezifisch empfundenen
Situationen verknüpft und verortet werden. Die als
Gegensatzpaar fungierenden Bilder der Mutter und der Hure
werden oft Situationen von Wohlbefinden und Schutz bzw.
Bedrohung zugeordnet und Innen bzw. Aussen positioniert.
Ein Beispiel eines Films bei dem Grossstadt mit all ihren
weiblichen Metaphern thematisch Gegenstand der Handlung ist,
ist Karl Grunes 'Die Strasse. Geschichte einer Nacht.'
(1923)2. Ein Kleinbürger folgt darin seinen Phantasien
über die nächtliche Stadt als Vergnügungsort
und Begegnungsort von Mann und Frau und entflieht seinem
Heim. Er trifft eine junge Frau die ihn in ein
Vergnügungslokal lockt, er gerät in
Schwierigkeiten und landet zuletzt wieder zuhause, wo er
sich am Busen seiner Ehefrau wieder aufrichten kann. Die
Strasse bzw. die nächtliche Stadt wird dabei anhand der
jungen Frau (deren Aeusseres keine Unterscheidung zwischen
einer Prostituierten oder einer der damaligen
Kinogängerinnen zulässt) als Ort der
Verführung, des Chaos und der Gefahr dargestellt, etwa
wenn sich ein Totenkopf über ihr Gesicht legt. Die
junge Frau ist dabei Kollaborateurin der Sünde,
Verursacherin des Chaos, der Mann dessen Opfer. Im Gegensatz
dazu wird die Ehefrau als mütterliche Rolle 'Innen'
positioniert, mit einem immer bereiten Suppentopf. Zu ihr
dringen die Versprechungen der Strasse nicht durch. Schaut
sie aus dem Fenster sieht sie im Gegensatz zu ihrem Mann,
dem sich ein Bild eines Vergnügungsortes bietet, nur
den Alltag, Leute die eilig die Strasse überqueren.
Damit wird auch eine klar geschlechtspezifische
Stadtwahrnehmung inszeniert.
Hat sich nun die Rede von der Stadt vom Bild eines
kohärenten Körpers wegbewegt, um der
Komplexität von Grossstadterfahrung entsprechen zu
können, soll als Beispiel für einen Film der
jüngeren Vergangenheit J.-L. Godards "2 ou 3 choses que
je sais d'Elle" (1966) stehen3. Auch in diesem Film ist die
Stadt selbst Gegenstand der Handlung. Beschrieben wird
jedoch eine neue Art von Stadt, die Trabantenstädte mit
ihren ’Grands Ensembles'. Godard porträtiert darin
quasi dokumentarisch 'Elle', die 'Région Parisienne'
(Untertitel) anhand bzw. parallel zu 'Elle' seiner
Protagonistin. Der Film begleitet einen normalen Tag lang
Juliette, eine junge Frau die mit ihrem Mann und ihren zwei
Kindern in der Banlieu von Paris wohnt. Juliette ist als
Hausfrau tätig und geht nebenher der
Gelegenheitsprostitution nach. Neben dieser
Haupterzählung werden immer wieder Momentaufnahmen der
Stadt gezeigt. Eine flüsternde männliche Stimme
erklärt und relativiert die Bilder und Handlungen; Sie
spricht über den Krieg in Vietnam, Prostitution, den
Zusammenhang von Sprache und Bild etc.
Die Verknüpfung von Stadtbeschreibung und
Weiblichkeitsbildern geschieht hier ganz bewusst. Nach
Godard ist selbst die 'condition humaine' am deutlichsten an
der 'condition féminine' darstellbar4. Die oft
tradierten Bilder der Hure und der Mutter werden auch in
diesem Film verwendet. Diese zwei Rollen sind jedoch in
einer Person vereint und stellen kein Gegensatzpaar dar. Der
Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf der Rolle der
Prostituierten, deren Bild er für seine Kritik an der
Stadt verwendet. Obwohl der Filmkommentar die ganze
Gesellschaft der Prostitution bezichtigt, stellt er sie nur
anhand der Frauen dar. Dabei wird der Charakter der Ware
herausgestriche: 'Sie' erscheint körperlos,
fragmentiert, emotionslos und beziehungslos. Damit wird die
Frau/Stadt zwar nicht mit klassischen Attributen der
Prostitution versehen und verliert den Aspekt des Reizes,
der Verführung (Godards Wahl einer attraktiven jungen
Frau zur Protagonistin lässt er unkommentiert). Er
liegt dabei jedoch in der Tradition der Heranziehung der
'weiblichen' Metapher der Prostitution um eine als negativ
bewertete Entwicklung darzustellen. Dieser Prozess wird zum
Teil reflektiert indem der Stadt/Gesellschaft eine eigene
Rolle zugesprochen wird, sie zu einer über die Person
sprechenden wird, d.h. er bewusst macht, dass ihr Bild auf
das der Frau geworfen wird.
Umsetzung: Die Ergebnisse der Analyse werden anhand kurzer
Videofilme, die mit den benutzten Bildern spielen und sie
kommentierten, dargestellt.
1) vgl. hierzu: Weigel, Sigrid. Topographien der
Geschlechter: Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur.
Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Reinbeck bei Hamburg,
1190.
2) Katharina Sykora hat diesen Film exemplarisch nach der
Frage der Konstruktion des 'Weiblichen' im Strassenfilm der
Weimarer Republik untersucht. Vortrag an der ETH
Zürich, Lehrstuhl Prof. F. Ruchat, Abt. für
Architektur. SS 1994.
3) Diplomwahlfacharbeit, zusammen mit Denise Ospelt, Abt.
Architektur, ETH Zürich, 1995.
4) Brändli, Sabina: Jean-Luc (rè)ELLE; Qu'est-ce
qu'IL sait d'ELLE? In: Filmbulletin 6.93. S.
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