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Zur
Verräumlichung der
Geschlechterdifferenz
Irene Nierhaus (Wien)
Die Position von der aus ich spreche, ist die einer
Feministin und Kunsthistorikerin. In der feministischen
Kunstgeschichte gibt es bereits einen relativ bewährten
Umgang mit Geschlechterfragen - zuerst in Form von
Woman-Studies, bei denen es um den Diskriminierungsnachweis
in Ausbildung und bildlicher Darstellung ging oder eine
Künstlerinnengeschichtsschreibung entwickelt wurde. In
der Architekturgeschichte wurden so Architektinnen
"ausgraben" (Schütte-Lihotzky), oder gezeigt, daß
Frauen erst spät zum Studium der Architektur zugelassen
wurden oder Fragen des Wohnens thematisiert, z. B. Kritik an
Wogrundrissen. In diesen Fragen liegen immer noch
Potentiale, - dazu haben sich die diskurs- und
repräsentationstheoretisch orientierten Gender-Studies
gemischt und Forschungsbereiche eröffnet, die nicht nur
an eine figürliche Bilderzählung gebunden sind,
sondern auch Untersuchungen von abstrakten,
ästhetischen Formulierungen ermöglichen - das ist
eine Chance für die Architektur, die ja nur fallweise
mit der Figur im abbildungsähnlichen Sinn operiert
(Bauplastik, Proportionslehre, Säulenlehre).
"Geschlecht" verstehe ich in diesem Denkzusammenhang mit der
Literaturwissenschaftlerin Bettine Menke als nicht
"selbstidentische Entität, sondern als Effekt
kultureller und symbolischer Anordnungen" also als komplexe
Apparatur von kulturellen und sozialen Produktionsweisen und
Praktiken, die unser gesellschaftliches Wahrnehmen in immer
wieder neu geschriebenen Übersetzungen organisieren.
Für die Architekturgeschichte bedeutet das, nach den
(diskursiven) Verfahren zu fragen, die die Differenz
produzieren und damit auch Architektur und Raum
geschlechtlich ordnen - wobei Architektur, wie Raum noch
immer eher als präexistente, geometrale und
abmeßbare Gegebenheit gedacht werden, in die wir
hineinversetzt sind.
Ich meine Architektur oder Raum - nicht nur als Objekt
"Gebäude", sondern als allgemeineres Beziehungsnetz
eines sozialen Gefüges, das Orte und Territorien samt
deren Wertungen ausbildet - die sich nicht
ausschließlich baulich manifestieren müssen,
sondern auch auf andere Weise Praxis erlangen können,
beispielsweise wenn auf einem Platz ein Gemüsemarkt,
eine Kundgebung einer polit. Partei, eine Demo oder ein
kultureller Event abgehalten wird, - werden jeweils
unterschiedliche, sozial unterschiedlich und damit auch
geschlechtlich strukturierte Räume erzeugt. Mehr noch:
Architekturen bzw. Räume sind nicht bloß Produkte
oder Produzenten sozialer Beziehungen, sondern das soziale
Geflecht - und damit auch die Geschlechter selbst werden
räumlich konstruiert: "It is not that the
interrelations between objects occur in space and time; it
is these relationships themselves which create/ define space
and time" (die feministische Geografin, Doreen Massey).
Imgrunde kann hier an die Kunsttheorie in der Debatte
über den Stellenwert des "Bildes" angeknüpft
werden, wo das BILD nicht bloß als Objektentität
gedacht ist, sondern als Formation von Repräsentationen
- das Bild ist um bei Roland Barthes zu bleiben "nicht der
Ausdruck eines Codes, es ist die Variation einer
Kodifizierungsarbeit: Es ist nicht die Niederlegung eines
Systems, sondern die Generierung von Systemen". Es
gälte nun den RAUM ähnlich, als räumlich
situative Organisation zu lesen.
Im Idealfall wäre auch nicht von einem Raum zu
sprechen, sondern von verschiedenen Lagen und Bestimmungen
von Raum - so im Sozialverhalten, im tatsächlich
Gebauten oder in den Medien - die sich
ineinanderschieben.
Hier macht es Sinn unseren heutigen Erfahrungshintergrund in
das wissenschaftl. Denken mitaufnehmen - denn der Schub
neuer Kommunikationstechnologien bewirkt
Wahrnehmungsveränderungen, da u.a. vermehrt Texte und
Erzählungen quer durch ehemals getrennte Raumeinheiten
transportiert werden - wenn Fernsehshows, wie "Vera" oder
"Willkommen Österreich" in wohnzimmerähnlichen
Studiosituationen inszeniert, von dem
öffentlichkeitsproduzierendem Medium TV
vervielfältigt und in zumeist wohnzimmerähnlicher
Raumsituation (fern)gesehen wird - zeigt das u.a. auf (nicht
ganz neue) Verflechtungen von Privatem und
Öffentlichem.
Die mediale Schicht verändert die geometralen, an
Objekten gemessenen und kulturell erlernten Räume. Sie
kann unterschiedlich gewertete Räume, wie
Öffentliches und Privates verkoppeln. Diese Naht
zwischen denen als Gegensatzpaar konstruierten Sphären
eines gesellschaftlichem Außen und individuellem
Innen, ist verräumlichte Differenz oder ist im Zeichen
der Differenz aufgerichtet.
Diese Kante zwischen Innen und Außen, die zu den
großen Grundkonstanten der Moderne und ihrer als
"natürlich" dargestellten geschlechtlichen
Raumorganisation gehört, möchte ich aufnahmen und
anhand von Jalousie, Schwelle, Fenster, dem Blick nach innen
und außen historisch besprechen- und entlang der
hegemonialen Diskurse - d.h. es wird hier nicht untersucht,
ob in der Praxis genauso verfahren wurde.
Die Leitlinien in diesem Rundgang sind Blick und Körper
- zwei Kategorien, die in der feminist. Kunst- und
Filmtheorie Geschichte gemacht haben und die für
Architektur bzw. Raumorganisation ebenso grundlegend sind,
da Architektur u.a. über das Auge, das Sehen,
berechnete Blicke (Geometrie, Perspektive) in Produktion und
Gebrauch hergestellt wird, andererseits auch über den
Körper: Architektur dient zur Aufbewahrung, Kontrolle
etc. der Körper und tritt selbst als dreidimensionaler
Körper auf.
Die Jalousie
Die Jalousie reguliert als Vorhang aus beweglichen Lamellen
an Fenstern den Blick zwischen innen und außen. Sie
kann den Blick freigeben, versperren oder zerlegen, in dem
sie nur Teile sichtbar macht. Die Jalousie ist also ein
Blickregulator. Alain Robbe-Grillet beschreibt in seinem
Roman "Jalousie oder die Eifersucht" in den fünfziger
Jahren die Eifersucht als einen ständig beweglichen
Kamerablick, der über Kanten und Flächen eines
Hauses - in Schnitten - immer wieder in den Innenräumen
die be-eifersüchtigte Frau bzw. Teile ihres
Körpers und seiner Gesten ertastet - dabei spielen
Jalousien als Möglichkeit von verdeckter Beobachtung
eine Rolle: "Die Fenster ihres Schlafzimmers sind noch
geschlossen. Nur die Holzbrettchen der Jalousien, welche die
Scheiben ersetzen, sind waagrecht gestellt, sodaß
genügend Licht ins Innere dringt. A... steht am rechten
fenster und schaut durch eine der Spalten auf die Terrasse.
(...) Hinter dem Fenster ihres Schlafzimmers ist die von der
Jalousie zerschnittene Silhouette von A... nun
verschwunden."
Im Französischen bedeutet Jalousie auch "Eifersucht".
Und das im Französischen für die
Fensterverkleidung ebenfalls gebräuchliche Wort
"persienne" beleuchtet ihre kulturelle Herkunft aus dem
Orient, wo sie vor intensiver Sonneneinstrahlung, aber in
der geschlechtertrennenden islamischen Gesellschaft auch
Frauen vor den Blicken fremder Männer "schützen"
soll bzw. den Frauen ein Blicken "ohne gesehen zu werden"
ermöglicht. Die Jalousie oder die Eifersucht wacht also
am Fenster und kontrolliert entsprechend der
Geschlechterordnung Blickläufe zwischen dem Raum vor
und hinter dem Fenster.
Die Schwelle
Eine ähnlich empfindliche Stelle ist die Schwelle, die
als Sozialfigur in der Geschichte des Bauens entsprechende
Aufmerksamkeit erhielt. Die als eigene Bauteile
ausgebildeten Treppenhäuser der Barockschlösser
waren standeskonforme, durch Zeremonialregeln fix
festgelegte Kreuzungspunkte zwischen Besucher und Bewohner.
Für die verrräumlichte Geschlechterdifferenz ist
der Brauch die Braut über die Schwelle des Hauses zu
tragen besonders signifikant und zeigt die weibliche
Verankerung im Innenraum. Die Braut übertritt nicht
selbst die Schwelle, sondern wird vom die Schwelle
wechselnden Mann in das Hausinnere getragen, um es
symbolisch zukünftig nicht mehr zu verlassen
(Männliches Pendeln, Verfügen über beide
Sphären, Weibliches Verorten in Eingeschlossenem).
In der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts ist
die Frau an der Wohnhausschwelle als Darstellung einer neuen
bürgerlichen Ordnung ein häufiges Motiv. Hier
sitzt sie, aber zeigt sich stets nur putzend, handarbeitend,
jedenfalls in Arbeit vertieft - sie zeigt sich zwar im
Außen, aber vollends beschäftigt mit den
Angelegenheiten des Innen, des Hauses, um dem
zeitgenössischen Spruch "eine offene Tür, ein
offenes Mieder" keinen Anlaß zu bieten und um das Tor
moralisch zu verschließen.
Das Haus ist das Produktionsmittel des sich entwickelnden
Stadtbürgertums, in dem der Mann, der Hausvater - wie
bei Leon Battista Alberti - gleich einer Spinne jede
kleinste Bewegung überwacht - so auch die Hausfrau in
ihren Tätigkeiten, ihrem Verhalten bis hin zur
Körpersprache - das Haus wird über der Frau
errichtet und die bürgerliche Frau ist immer die mit
dem Haus versehene, die behauste Frau. Das Haus wird zur
patriarchalen Domestizierung eines als chaotisch
imaginierten Weiblichen (siehe auch us-amerikanischer
Architekturtehoretiker Mark Wigley).
Die Frau außerhalb des Hauses wird sexuell mobil
phantasiert zum gefährlich Weiblichen, wie die Sphinx
oder Hure, die auch als Bilder für den urbanen
Außenraum, die Stadt der Moderne fungieren (siehe auch
Sigrid Weigel).
Die Impressionisten, die das moderne städtischen Leben
zum zentralen Thema ihrer Bildentwürfe gemacht haben,
zeigen das in Szenen auf der Straße, in der Bar, im
Variete, im Bordell, im Cafe - die dargestellten Frauen sind
sexuell allgemein verfügbar: das leichte Mädchen,
die Hure, die Tänzerin, oder die Deklassierte - alles
Gegenkonstruktionen zur bürgerlichen Frau im stillen
Heim.
Die Schwellensituation als Ort des Zurschaustellens
weiblicher Gezähmtheit taucht im Wohnen des 19. Jhdts
wieder auf, und zwar am Fenstersitz oder Erker - die als
weibliche Orte der Wohnung beschrieben werden und eine Welle
von handarbeitenden und lesenden Frauen in Malerei und
Grafik formiert das Ideal.
Diese Innen-Außen-Differenz ist im 19. Jahrhundert mit
der Ausbildung der modernen Bürgerwohnung massiv
erneuert worden, da die Bürgerwohnung nun zum
ausschließlichen Ort der privaten Reproduktion und
Freizeit wird. In der Wohnung erfüllt die Frau die
Haus- und Familiensarbeit, außerhalb liegen die
Sphären der Produktion und des öffentlichen
Interesses, von denen der Mann ins Haus "zurückkehrt",
das als moderne Privatsphäre ausgebildet wird. In der
Wohndiskussion entwickelte sich eine Sensibilität
für Räume, die diese Privatsphäre abschotten:
Bei Bürgerhäusern werden Gang- und Stiegenanlagen
als distanzschaffende Räume zwischen den einzelnen
Privatwohnungen definiert oder die Fassade einer
Schutzhülle gleich überreich inszeniert. Vorzimmer
und Flur werden als nach innen verlagerte Schwelle zur
Abgrenzungsmöglichkeit der Bewohner untereinander und
gegenüber Nachbarn ausgebildet. Der Spion (Guckloch) in
der Tür ermöglicht die Schwellenkontrolle. Alles
sozusagen Puffer zwischen Außenwelt und privater
Häuslichkeit (was allerdings nur dem bürgerlichen
Wohnen entsprach). Die private Häuslichkeit ist
Gegenreferenz zu den Phantasmen der bedrohlichen,
promiskuitiven Stadt mit ihren als "unberechenbar"
gefürchteten Massen. Das private Wohnen ist als
Gegenbild zum "Außen"geformt und seine Akteurin ist
die Hausfrau.
Auch innerhalb des historistischen Interieurs zeigt sich
durch die oft vollständig mit Stoffen, Jalousien oder
farbiger Bemalung und Glasfenstern verkleideten
Fensterscheiben als Distanzierung zur Außenwelt. Mit
dieser Abgrenzungsarbeit wird gleichzeitig das Innere des
Wohnraums emotionalisiert und mit vielfältigen
Stimmungen aufgeladen. Das geht so weit, daß das
Innere von Person und Wohnung gleichgesetzt werden. Peter
Altenberg schreibt 1899: "Was auf meinem Tischchen steht, an
meinen Wänden hängt, gehört mir, wie meine
Haare und meine Haut". Damit wird auch eine alte Analogie
von Körper und Haus aufgenommen, die nun durch eine
"Beseelung" des Innenraums erweitert wird. Die Wohnung als
"komplexe Geographie von Intimitäten" (Gilles Barbey)
produziert das moderne bürgerliche Subjekt mit.
Diese Transformation des Hauses und der Wohnung in ein
Stimmungsgehäuse hat also die Funktion Privatheit
auszubilden. Verstärkt wird das durch die
Zurückdrängung der Produktion aus dem Wohnen, was
die Vorstellung von der weiblichen Hausarbeit als
Nicht-Arbeit, bzw. als ausschließlich
psychisch-schöne Tätigkeit forcierte - und die
Frau als schöne Seele ist auch die Drehscheibe im
bürgerlichen Wohngefühl.
Die emotionale Aufladung des häuslichen Innenraums
birgt neben dem Schutz-vor-der-Welt-Mythos allerdings auch
Familientragödien, Gewalt an Frauen und Kindern und
verortet das Entladen von Verzweiflungen und Aggressionen
hinter Wohnungstüren. Edgar A. Poe´s Schauerromane
oder die Phantasmen des Surrealisten Max Ernst entspringen
schließlich einer solchen Psychisierung von
Innenräumen, in der der schützende Hohlraum zum
Ort von Klaustrophobien und Katastrophen umschlägt. Die
öffentliche Seite des Privatraumes ist das Glück,
die Aufzucht fröhlicher Kinder und die Zufriedenheit
fleißiger Eltern. Während das Unglück als
die private Seite des Privatraumes erst allmählich zum
Gegenstand öffentlichen Interesses und von Rechtsfolgen
wird (z. B. Vergewaltigung in der Ehe,
Kindesmißbrauch, etc.).
In Kriminalfilmen verbildlicht sehr oft die Türe als
symbolischer Schutzschild des Privaten, Droh- und
Angstphantasien. Das Überschreiten der
Binnenraumgrenzen ist auch Angstmetapher für die
Bedrohung des Ichs - da öffnet jemand seine
Wohnungstür, und wir wissen bereits, daß in
seinen vier Wänden eine Bedrohung lauert. Eine
geschlechtsspezifisch sexualisierte Variante davon ist die
des männlichen Voyeurs, der eine Frau mit Blicken,
Fernrohr, Telefon und Telefonbeantorter bis in ihr
Wohnungsinneres verfolgt. Dabei spielt die Beobachtung durch
Fenster eine wesentliche Rolle.
Fenster
Es gibt von ETA Hoffmann, 1822 geschrieben, die Geschichte
"Des Vetters Eckfenster", in der ein Mann das Geschehen auf
einem Marktplatz von einem hoch liegendem Fenster aus
schildert. Der Hoffmann´sche Vetter blickt die ganze
Geschichte lang durch das Fenster nach außen auf den
Marktplatz und lehrt dabei seinem jüngeren Gast das
richtige SEHEN: "Gut Vetter, das Fixieren des Blicks erzeugt
das deutliche Schauen". D.h. die durch das Fenster
eindringenden Eindrücke müssen erst analysiert und
bewertet werden. Es bedarf, sagt er, eines Auges "welches
wirklich schaut. Jener Markt bietet dir nichts dar als den
Anblick eines scheckichten, sinnverwirrenden Gewühls
des in bedeutungsloser Tätigkeit bewegten Volks. (...)
mein Freund, mir entwickelt sich daraus die mannigfachste
Szenerie des bürgerlichen Lebens, und mein Geist, (...)
entwirft eine Skizze nach der anderen".
In der Literatur ist das Fenster im 19. Jahrhunderts ein
häufiges Motiv für das Verhältnis von
Individuum und Städtischem, und Hoffmann dokumentiert
nicht bloß vorgefundene Szenen, sondern macht ihre
Erzeugung zur Erzählung (= Reflexion des eigenen Tuns
als Künstler). Der Vetter sieht demnach auch aus keinem
realen Fenster, sondern nutzt den Fensterausschnitt als
Rahmen, um sein TABLEAU (sein Bild) zu zeichnen. Er
vergleicht sein aktives Sehen ja auch tatsächlich mit
bildenden Künstlern.
Die Bilder der Männer am Fenster zeigen sie durchwegs
als Künstler mit Staffelei oder Musikinstrument in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt es eine Reihe
von Bildern, Personen am Fenster zeigen: Die Frauen richten
dabei ihren Blick selten aus dem Fenster, sie erscheinen als
von außen oder innen "im Rahmen", als Bild im Fenster,
wie auch bei Robbe-Grillet: "Das Schlafzimmerfenster (...)
öffnet sich nach beiden seiten. Der Oberkörper von
A steht in dem Rahmen".
Die Bilder mit Männern am Fenster thematisieren zumeist
den "Künstler", sie zeigen Ateliersituationen, wobei
eine Beziehung zwischen Sichtfeld im Fensterausschnitt und
Bild im Rahmen hergestellt wird (Fenster und Leinwand als
Bildschirm, z.B. Bilder von Kersting vom Atelier C.D.
Friedrich). Diese Bilder thematisieren die
künstlerische Produktion als Weltentwurf, wobei bei ETA
Hoffmann die Herstellung des Welt-Bildes im Hinaussehen aus
dem Fenster eng mit der Modellierung des weiblichen
Geschlechts verbunden ist, denn die beschriebene
Marktszenerie besteht fast nur aus weiblichen Figuren, die -
da sie unbehaust im öffentlichen Raum flottieren, als
unmoralisch charakterisiert werden - hier ist er
Vorläufer der modernen Phantasmen der Stadt als
Hure.
Dieses Bild-Produzieren läßt sich noch in einem
anderen Zusammenhang als Geschichte des
Geschlechterverhältnisses lesen. Die
Entwicklungsgeschichte des Blicks und des
neuzeitlich-zentralperspektivischen Sehens ist mit dem
konkreten Ort des "Studio(olo)", dem Studier- und
Gelehrtenzimmer verbunden. Das Studio ist der Raum, von dem
aus der (zumeist männlich figurierte) Wissende die Welt
mit dem Blick durch einen bestimmten Referenzrahmen
(Fenster) "meistern" kann, sei es der Rahmen einer
Denkdisziplin oder einer Perspektivapparatur.
Bei den Stichen Dürers (z.B. Der Zeichner der Kanne
1525), in denen er den Vorgang der perspektivischen
Übertragung eines dreidimensionalen Objektes auf die
Bildebene zeigt, ist dieser Vorgang immer in einem Raum
situiert, der irgendwo einen Fensterausschnitt zeigt. Der
Kunsthistoriker Erwin Panofsky hat in seiner Studie
über die Persepktivkonstruktion - Alberti zitierend -
festgehalten, man könne nur dann von einer
perspektivischen Raumanschauung sprechen, wenn das "ganze
Bild (...) gleichsam in ein `Fenster´ verwandelt"
würde, "durch das wir in den Raum hindurchzublicken
glauben sollen".
Gleichzeitig zur Entwicklung der wissenschaftlichen
Perspektive wird der Raumtyp des Studio ausgeprägt.
Auch in diesem Zusammenhang spielt das Fenster eine Rolle -
vielleicht als Verweis auf den Gesamtzusammenhang des
studierten Objektes, die Welt, so in den Bildern des
Hieronymus im Gehäuse als prototypischen Darstellungen
des Gelehrtenzimmers. Ab der Renaissance ist das Fenster oft
metaphorischer Bezugsrahmen des Individuums zur Erkenntnis.
Das Rahmenbilden um einen Betrachtungsgegenstand wird als
Nachdenken über die Welt thematisiert. - Die Ausbildung
von Wissenschaft, die sich auch auf die diesseitige Welt
bezieht, konvergiert mit der Ausbildung eines Ortes für
dieses Denken - einem Denkzimmer.
Neben den klösterlichen Studierkammern sind es in der
Profanarchitektur die aristokratischen Studioli (z. B. 15.
Jhdt, das Studiolo von Federico da Montefeltre in Urbino
oder der Isabella d´ Este in Mantua). Sie sind Orte der
Kontemplation und der Kunstsammlungen (ohne reale Fenster).
In ihnen kehren Fenster in besonderer Weise wieder, denn
ausgestattet mit höchst illusionistischen Intarsien
geben sie Ausblicke auf Städte und Einblicke in das
Innere von Bücher- und Musikschränken. Die Welt
geschaut über Fensterrahmen kehrt als Kunstprodukt
wieder in den Innenraum zurück, der reale Blick nach
außen wird wiederholt und im Innenraum als Bild
dargestellt.
In der Geschichte des Wohnens wird das Studierzimmer, das in
den sogenannten Herrenzimmern des 19. und 20. Jahrhunderts
weiterlebt - im Gegensatz zu den der "Zerstreuung" dienenden
Damenzimmern - immer als Ort Nachdenkens beschrieben. Das
Herren- oder Arbeitszimmer wird als "Stätte der Arbeit,
wo der Geist sich sammeln soll" (Falke 1882) deklariert.
Neben einem großen Schreibtisch, einem bequemen Stuhl
und Bücherschränken gehören nach den
Wohntheoretikern Waffengestelle, Bücher, Globen und
Büsten von Dichtern oder Erfindern in diesen Raum und
auch eine Frau als Bild (nicht real) vertreten, als Portrait
der Gattin oder/und als erotische Muse (auch in
Robbe-Grillet´s Roman steht im Büro ein "kleiner
mit Perlmutter belegter Rahmen" mit der Aufnahme der Frau) -
wobei die Frau als reale Person seit Alberti aus dem Studio
verbannt ist.
Studierzimmer und Herrenzimmer sind Orte männlicher
Innerlichkeit und Produktivität - auch Hoffmann´s
Vetter lebt in einem solchen Zimmer, es ist die als Denker-
und Künstlerzimmer ausgewiesene Dachstube: "Es ist
nötig zu sagen, daß mein Vetter ziemlich hoch in
kleinen niedrigen Zimmern wohnt. Das ist nun Schriftsteller-
und Dichtersitte. Was tut die niedrige Stubendecke? Die
Phantasie fliegt empor und baut sich ein hohes, lustiges
Gewölbe bis in den blauen glänzenden Himmel
hinein".
Der (in Geschlechterfragen sehr unkritische und
fleißig Geschlechterkonstruktionen betreibende) Gaston
Bachelard hat in seiner in den fünziger Jahren
verfassten Phänomenologie des Hauses den Dachboden im
Gegensatz zum Keller als "rational" bezeichnet, wo "alle
Gedanken klar" sind. Im "Dachboden sieht man mit
Vergnügen das starre Gerippe des Balkenwerks
bloßgelegt. Man hat teil an der soliden Geometrie des
Zimmermanns". Dieser Verweis auf das Konstruktive
schlägt die Verbindung zum Bauen und Planen als
männlich kodierte Tätigkeiten.
Die Dachkammer als männlich besetzter Raum taucht auch
in der Mediengeschichte des Radios wieder auf, so hat
William Boddy das frühe amerikanische Radio
zunächst als männliche Freizeitbetätigung
beschrieben, bei der das Radiohören Ergebnis des
technischen Radiobastelns, also der Aneignung der Maschine
war. Erst später wurde das Radio in die Familie
integriert, was sich auch in einer veränderten
räumlichen Auftstellung zeigt: Das Radio wanderte nun
von der Dachkammer, der männlichen Bastelstube ins
Wohnzimmer "hinunter". Im Sinn eines damaligen Radiopioneers
war das auch ein tatsächlich kultureller Abstieg, da
nun dort neben dem Bügeln ganz "unbewußt" und
zerstreut Radio gehört werden konnte.
- Das Wohnzimmer wiederum wird in der Geschichte Wohnens als
"weiblicher" Raum charakterisiert, womit ich auch wieder auf
das Innere des Wohnraums und auf die Analogie von Haus und
Körper komme.
Innenräume
Wie vorher gezeigt ist im bürgerlichen Wohnen die
Stimmung, die Darstellung von Innerlichkeit, anhand der
Möbel, Schmuckgegenstände, eigentlich der
Wohnungsaustattung als Ganzem wichtig. Innerlichkeit ist in
den Gegenständen präsent, im Äußeren
sichtbar und die historistische Hülle ist das
architektonisches Mediensytem bürgerlicher
Individualität und Sozialität, mit dem die Frau
agiert und selbst TEIL davon wird, so ein Zeitgenosse: "eine
Dame würde ja, wenn sie diese Seite (die eigene
Kleidung, I. N.) vernachlässigte, (...) in ihrer
kunstreich geschmückten Umgebung eine Disharmonie sein
und das Bild, das sie selber geschaffen hat (...) wieder
zerstören. Vielmehr soll sie selbst der edleste Schmuck
in ihrer geschmückten Behausung sein" (Falke,
1882).
In der Malerei zeigen zahlreiche Bilder das enge Ineinander
von Wohnungsausstattung und Weiblichkeit. Es sind zumeist
von der zweiten Seite des Impressionismus, der aufs Private
gerichteten Motivik beeinflußte Bilder von
Innenräumen mit stoffreicher Ausstattung in die Frauen
in häuslicher Tätigkeit oder in
Mußehaltungen integriert sind (z. B. bei Eduard
Vuillard). Gespeist wird das auch aus der damaligen
Orientmode, wie Ernst Bloch schreibt: "Ein Haremshimmel
hatte fast über der ganzen Zimmereinrichtung des 19.
Jahrhunderts gestanden"- dabei haben sich die Vorstellungen
insbesondere um das Frauengemach Harem gedreht - die
gleichzeitigen Haremsbilder zeigen mit Teppichen und Kissen
ausgestattete Räume, in denen Frauen in mehr oder
weniger erotischen Posen im farbigen Licht herumliegen. -
Züge davon sind in den bürgerlichen Haushalt,
insbesondere in den Umgang mit gedämpften Licht und der
Texilisierung übersetzt. Und auch auf Bildern
europäischer Wohnräume lagern Frauen auf
Polstermöbeln - in einer - wie es der
Architekturtheoretiker Siegfried Gideon ausdrückte -
"völlig posenlosen Stellung zwischen Liegen und
Sitzen", in der vorgeführten Entspannungshaltung sieht
er Anzeichen des sich entwickelnden modernen,
häuslichen Komforts. Sie sind zum Signum der
arbeitsfreien Zeit im arbeitsfreien Raum (des Mannes) oder
Ausgangspunkt einer Ikonografie der Freizeit im Privatraum,
die in den sogenannten "Sitzlandschaften" der Sechziger und
Siebziger Jahre kulminieren werden. Jean Baudrillard
schreibt dazu: "Der funktionelle Mensch ist von vornherein
ein müder Mensch. Und die Millionen Leder- und
Schaumgummisitze, einer tiefer und molliger als der andere,
sind eine gigantische Verheißung (...) kann er (...)
seine Langeweile im Schoße eines Fauteuils, der sich
den Formen seines Körpers anschmiegt, vertreiben".
Die in dem Zitat angeklungene Körperhaftigkeit des
Interieurs ist in vielen damaligen texten präsent und
wird immer wieder mit Weiblichkeit verkoppelt, entweder wird
sie sein bildhafter Teil (Eduard Vuillard), oder sie wird
zum gepolsterten Möbelkörper oder kann selbst zum
Interieur erweitert werden, wie im surrealistischen Beispiel
"Mae West" von Salvadore Dali 1934 .
Das taucht aber nicht nur in der Malerei auf, auch in
Architektur gibt es Vergleichbares. So hat der Architekt
Adolf Loos 1903 sein eheliches Schlafzimmer in der Tradition
des 19. Jahrhunderts die weibliche Ikonografisierung des
Schlafzimmer radikalisiert. Im "Schlafzimmer meiner Frau" -
wie er es nannte - ist das zentrale Bett auf den
Matratzenblock reduziert, alle Möbel sind mit einem
weißen Batistkleid, der Boden mit weißen
Angorafellen und der Raum mit einem blauen Teppich
ausgekleidet. Der Raum ist als Braut (-gemach) lesbar: Das
Raumkleid als Brautkleid, das die unschuldige Braut
bezeichnet (blau ist marianisch-celest). Das Fell ist als im
Weiß verharmlostes Triebhaftes und endlos Uterines.
Die Zartheit des Stoffes als Hymenschleier: "Sich monatelang
mit Spitzenklöppeln abmühen, nur damit die Spitzen
in einer Nacht zerrissen werden"- schreibt Loos an anderer
Stelle.
Loos hat sich in seinen Schriften mehrfach mit Kleidung auch
im Verhältnis zum Körper beschäftigt. Der
Assoziationszusammenhang Körper-Kleid-Architektur
taucht auch in der Kritik des von Loos 1910 erbauten
Michaelerhauses in Wien auf. Die Fassade wird u.a. als
"nackter Oberkörper einer sonst hübschen
Dorfschönheit, doch mit (...) schwieligen Händen,
beim noch so rein gewaschenen Oberkörper"
bezeichnet.
Das Verhältnis zwischen Körper und Kleid wird in
der Architekturtheorie seit dem 19. Jahrhundert unter den
Begriffen Gebäudehülle und Gebäudekern
thematisiert, also einer äußere Erscheinung und
eine innerer Struktur (eine zentrale Figur in dieser
Diskussion ist Gottfried Semper mit seiner
"Bekleidungs"these).
Um die Jahrhundertwende wird die Unterscheidung zwischen
Hülle und Kern zunehmend als Differenz zwischen
maskuliner innerer, dauerhafter Wahrheit und feminisierter,
äußerer, wechselnder Maske verhandelt. Diese
Opposition erschien nur durch die Auslöschung der
Hülle lösbar, um die "Entblößung des
Funktionskörpers" der modernen Architektur zu
ermöglichen. Die Architekturgeschichtsschreibung der
Moderne beschreibt diesen Prozeß als "Befreiung" der
Architektur von Repräsentationsmasken. Dieses
Verschwinden kann allerdings aus
repräsentationstheoretischer Sicht bezweifelt bzw. als
eine andere Form der Hülle bezeichnet werden, wie Mark
Wigley schreibt: "Order itself becomes a mask. This mask of
order uses figures of rationality".
Die dennoch mit Emphase betriebene "Befreiung" gerät in
den 30er Jahren in eine Krise, was sich u.a. im
surrealistischen Kommentar in körperhaften (meist
weiblichen) Möbeln und Architekturen äußert.
Ganz bildhaft-narrativ im bereits erwähnten Bild der
Mae West von Salvadore Dali , wo der Kopfraum der Frau zum
Interieur mit dem Lippensofa wird.
In den Wohnutopien der 60er Jahren taucht die
Körperhaftigkeit wieder und nun ganz direkt auf, als
Räume, die gleich einem Organ ihre Bewohner umfassen.
Die Wohnhohlräume in ihrer intensiven Farbgebung und
der textilen Materialpräsenz (Wohn- und
Damenzimmerikonogr) wandeln den Innenraum zum
Körperinneren um : "Wie zufällig ergeben sich
Plätze zum Sitzen, Lungern und Liegen (...) Alles ist
mit elastischem Stoff überzogen. Selbst die
Lichtquellen sind hinter Stoffbahnen verborgen. Der
Schrankraum steckt in der Wand hinter textilverkleideten
Klappen (....). Die Höhle (...) ist vollklimatisiert."
(Text zur Visiona 1970, Interieur Verner Panton).
Das Interieur ist Raumkörper, der nicht den ganzen
Körper repräsentiert, sondern nur Teile, oft mit
weiblichen Geschlechtsorganen vergleichbare
Körper(teil)räume.
Viele Architekten, wie Walter Pichler, Hans Hollein, Coop
Himmelblau oder die Haus-Rucker entwickelten in den
Sechziger Jahren Raumkapseln, Objekte zwischen "Gerät
und Organ" (Achleitner), die einen Rückzug in einen
minimalen Innenraum ermöglichen. Die Kapseln haben
Versorgungschläuche, simulierte Gerüche,
ermöglichen durch Telekomunikation den Austausch mit
der Außenwelt und werden tragbar, denn die "mobilen,
uterinen Urhütten" könnte sich jede Person
umschnallen. Die Raumkapsel "Gelbes Herz" der Haus-Rucker
von 1968 ist "lebendig", denn ihr pneumatischer Raum ist
Nicht-Konstantes, die elastischen Hautwände pulsieren,
scheinen zu wachsen, sich auszudehnen. Das ist eine
Interiorisierung des Interieurs, denn man scheint sich
mittem im lebenden Organismus zu befinden. Hier lassen sich
Vorstellung vom weiblichen Textilkörper als Wohnsitz
des Menschen wieder aufnehmen oder ein weiblich gedachtes
Interieur als Ort der (männlich figurierten) Seele -
auch das dunkle Privatzimmer der Seele der
Leibniz´schen Monade ist ein solcher Stoff-Innenraum,
wie Gilles Deleuze schreibt: "Die obere Etage ist es, die
keine Fenster hat: dunkles Zimmer oder dunkle Kammer,
ausgestattet einzig mit einer gespannten, `von Falten
untergliederten´ Leinwand, wie eine lebendige Haut". -
Auf diese Aneignung des weiblichen Raumkörpers haben in
den Siebziger Jahren Künstlerinnen, wie Colette in
übersteigerter Identifizierung reagiert, die die
unendliche Textilisierung auf sich und Rauminszenierungen
übertrug.
Der Vortrag ist eine Verbindung zweier Texte:
Sequenzen
zu Raum, Architektur und Geschlecht. Zur Verräumlichung
der Geschlechterdifferenz,
in: Kunst, Geschichte, Soziologie. Beiträge zur
soziologischen Kunstbetrachtung aus Österreich/ Hrsg.
Alfred Smudits, Helmut Staubmann. Frankfurt, Berlin, New
York, P.Lang, 1997. S. 264-277.
Text und
Textil. Zur geschlechtlichen Strukturierung von Material in
der Architektur von Innenräumen. Vortrag bei der
Kunsthistorikerinnentagung "Marginalisierung und
Geschlechterkonstruktion in den Angewandten Künsten",
Universität Trier, 3.-6. Oktober 1996 (im
Erscheinen).
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