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Ökonomie, Geschlecht und Architektur
im Roten Wien
Das Wohnbauprogramm des Roten Wien (1921-34)
von Michael Zinganel
Anläßlich der ersten freien Wahlen nach dem Ende
des ersten Weltkrieges erlangte die Sozialdemokratische
Arbeiterpartei die absolute Mehrheit im Wiener Gemeinderat
und konnte daher gegen die bürgerliche Opposition und
trotz zunehmender wirtschaftlicher Rezession ein weltweit
einzigartiges Wohnbauprogramm vor allem für die
einkommensschwachen Teile der Bevölkerung realisieren.
Eine der Vorrausetzungen dazu bildete der sogenannte
»Friedenszins«: Der Beginn des Krieges erforderte
Maßnahmen, um die Rekrutierung von Truppen zu
ermöglichen, indem die Loyalität der
Bevölkerung gegenüber der Monarchie
gewissermaßen erkauft wurde. Den zu Hause
verbleibenden Familien mußten unveränderbare
Monatsmieten und ein erhöhter Kündigungsschutz im
Falle des Ablebens oder einer möglichen
Arbeitsunfähigkeit der in den Krieg ziehenden
Familienerhalter garantiert werden. Weder Friedenszins noch
Mieterschutz wurden aber nach Kriegsende wieder aufgehoben.
Zudem setzte die Sozialdemokratie eine radikal progressive
Besteuerung von Immobilieneigentum und deren Verwertung
durch, die in Zusammenwirkung mit den o.a. Vorbedingungen
die Ausbeutung von Wohnraum unrentabel machte und so
unmittelbar zur Zerschlagung des privaten Immobilienmarktes
in Wien führte. In der Folge sanken auch die
Grundstückspreise und die Gemeinde Wien konnte als
einziger Interessent zu äußerst erschwinglichen
Preisen eine Vielzahl von Grundstücken erwerben.
Mittels neu gegründeter gemeindeeigener
Baustofflieferanten und Baufirmen, sowie der
Funktionalisierung der kommunalen Verkehrsbetriebe als
städtische Transportunternehmen für den Wohnbau,
wurde die Gemeinde selbst zum Monopolunternehmen, das in den
10 Jahren von 1923-1933 (bereits 2 Jahre nach Beschluß
der Wohnbausteuer) über 60.000 Wohnungen errichten
konnte.
Der »Neue Mensch« im
»Superblock«
Das Wohnbauprogramm des Roten Wien stellte neben der
Bereitstellung erschwinglichen und hygienisch einwandfreien
Wohnraums vor allem auch ein gezieltes Sozialisierungs- und
Politisierungsprojekt der Arbeiterschaft dar, der sich auch
die bauliche Ausgestaltung unterordnete und das eng mit dem
Bildungs- und Wohlfahrtsprogramm sowie der Familienpolitik
der Sozialdemokratie (der Reproduktion der organisierten
Arbeiterklasse) verknüpft war.
Es wurde der Bau von Mietwohnungen in großen
blockartigen Geschoßbauten (den
»Superblocks«) mit integrierten kollektiv
nutzbaren Wohnfolgeeinrichtungen wie
Zentralwaschhäusern, Kindergärten,
Mutterberatungsstellen, Volksbibliotheken, Veranstaltungs-
und Versammlungssäle, Werkstätten,
Geschäftslokale der Konsumgenossenschaft u.v.a.
bevorzugt betrieben und nicht an der Gartenstadtidee
orientierte Siedlungen (wie sie von der Mehrheit der
Architektenschaft favorisiert wurden).
Die niedrigen Grundstückskosten und die Vermietung der
Wohnungen zu den Selbstkosten des Errichters (der Gemeinde)
ließen einen bedeutend geringeren Bebauungsgrad zu als
es als im privaten Geschoßwohnbau üblich (weil
profitabel) war. Anstelle der vorgeschriebenen 20%
erhöhte sich die Fläche des Innenhofes eines
Wohnblocks des Roten Wien auf mindestens 50% und erreichte
wie z.B. im Falle des Karl-Marx Hofes bis zu 80% der
gesamten Grundstücksfläche. Die einzelnen
Treppenhäuser, die zu den Wohnungen führen, wurden
nicht von der Straße aus erschlossen, sondern eben von
diesen nunmehr attraktiven, begrünten und besonnten
Innenhöfen, die mit dem Straßenraum nur durch
einen oder nur wenige große Tore verbunden waren. Die
Umorientierung (zumindest der Hälfte) der Wohnungen zu
den Innenhöfen anstelle zur Straßenseite
ermöglichte die Kontrolle der nunmehr in gesichertem
Terretorium spielenden Kinder, signalisierte gleichzeitig
aber auch die gewünschte Abkehr von der Sozialisation
der Straße, die traditionell dem Milieu der
Arbeiterklasse entsprach.
Ebenso wurde die Kommunikationsfunktion des Flurs und des
Treppenhauses, von denen aus im sogenannten Bassenahaus (dem
privaten Zinshaus der Gründerzeit) noch das Wasser
geholt werden mußte und die Toiletten erschlossen
wurden und wo sich die BewohnerInnen regelmäßig
trafen, durch die Einführung wohnungsinterner Toiletten
und Wasseranschlüße obsolet. Die große
Anzahl der neu errichteten gemeindeeigenen Wohnungen und
deren Erschwinglichkeit beendete auch die
Überbelegungen in privaten Zinshauswohnungen durch
Großfamilie und Bettgeher, die, um die hohen Mieten
finanzieren zu können, auf engstem Raum zusammenlebten.
Es wurde zusätzlich ein kleines Vorzimmer
zwischengeschaltet, um die Trennung von vermeintlich
privatem Wohnraum zu kollektiv genutztem
Erschließungsraum zu unterstützen. Dahinter
folgten die Wohnküche, ein Zimmer und eventuell ein
Kabinett. Die Wohnungen waren mit elektrischem Licht,
Kaltwasser und Gasanschluß in der Küche
ausgestattet, hatten anstelle von Zentralheizungen
Kohleöfen, von denen aus ökonomischen Gründen
meist nur jener in der Wohnküche beheizt werden konnte,
jedoch kein eigenes Bad. Dadurch konnten aufwendige
sanitären Erschließungen im Wohnblock vermieden
werden. Diese wurden konzentriert in den kollektiv zu
nutzenden Badeanlagen mit Bade- und Duschzellen, die
vielfach mit den Waschsälen zu dampfbetriebene
Zentralwaschanlagen zusammengefaßt warenn. In den
größten Wohnanlagen wie z.B. dem Karl Marx Hof
sind diese als eigene freistehende Gebäude
ausgeführt und inmitten der Wohnanlage
gewissermaßen als Sakralbauten der neuen Hygiene
inszeniert. Die Waschhäuser waren technisch
hochgerüstete Anlagen, die von einem Maschinisten
betrieben wurden und die es den Familien nach Vorstellung
der Planer ermöglichen sollten, mit nur einem Waschtag
pro Monat die gesamte Wäsche des Haushaltes zu waschen,
zu trocknen und zu bügeln. Nachdem aber die
Öffnungszeiten der Waschhäuser vielfach mit den
gewöhnlichen Arbeitszeiten übereinstimmten und
Männern und Kindern der Zutritt verboten war, muß
wohl angenommen werden, daß eben nur nicht
berufstätigen Frauen diese Erleichterung der Hausarbeit
vorbehalten blieb. Zudem war es auch verboten, gewaschene
Wäsche auf den löblicherweise vorhandenen Balkonen
zum Trocknen aufzuhängen, wohl einerseits um das
archtektonische Gesamtessemble nicht zu stören und
andererseits um den Erholungswert der Wohnung für den
von der Arbeit heimkehrenden Mann nicht durch Spuren von
Hausarbeit zu beeinträchtigen.
Neben der Schaffung von Wohnraum, der unbestreitbaren
ökonomischen Entlastung einkommensschwacher
BewohnerInnen bei gleichgzeitiger enormer hygienischer
Verbesserung der Wohnverhältnisse, der Belichtung und
Belüftung der einzelnen Wohnungen und der nunmehr
integrierten großen Freiflächen in den
Höfen, wurde zum anderen aber auch eine subtile
Kontrollstruktur der neuen Bewohnerschaft (bei 60.000
Wohnungen sind das zumindest 250.000 BewohnerInnen)
errichtet. Die Einbindung der Gemeinschaftseinrichtungen,
Kindergärten und Bildungseinrichtungen, baulich
akzentuiert an prominenten Stellen im Verband des
Wohnblocks, der signifikante Repräsentationscharakter
der Gesamterscheinung nach außen, zielten nicht nur
auf die Entwicklung und Stärkung der Hofgemeinschaft,
sondern vielmehr des Klassenbewußtseins, allerdings
unter professioneller Anleitung, denn anstelle
möglicher Selbstorganisation innerhalb der
Hofgemeinschaften trat (bis auf wenige Ausnahmen) von Anfang
an die gezielte Organisation durch Institutionen der
Gemeinde Wien, die eben aufgrund der
Mehrheitsverhälntisse im Gemeinderat mit jenen der
Partei gleichzusetzen waren.
Mittels seiner prominenten Plazierung, der
achsialsymmetrischen Anlage, den großzügigen
hohen Räumen, dem turmartigen Treppenaufgang, dem
basilikalen Querschnitt und dem niederen apsidenartig
vorgelagerten Kesselraum versucht dieser Bau, der
sozialdemokratischen Propaganda folgend, die
Überhöhung der zu vermittelnden Werte
architektonisch umzusetzen - und läßt sich daher
gewissermaßen als ein der Sauberkeit und Ordnung des
»Neuen Menschen« geweihter Sakralbau
interpretieren.
Zwei Zugänge beidseitig des Treppenturms führen in
eine 4 m tiefe sich über die gesamte Breite von ca. 30
m erstreckende Vorhalle mit Wartebereichen und Toiletten an
den jeweiligen Enden. Die große Waschhalle ist ebenso
breit und 23 m lang. Sie beinhaltet 28 absperrbare
Waschzellen mit je einem Becken für Kalt-und Warmwasser
und je einen Duplex-Dampfkessel sowie 14 Zentrifugen in
einem offen zugänglichen Bereich. Daran schließt
gewissermaßen wie Querschiff im Kirchenbau ein ca. 35
m breiter und 8 m tiefer Trakt an, in dessen Mitte sich der
15 m breite Mangelraum befindet, der beidseitig von zwei
Kulissenräumen flankiert wird. Hinter einer
Brandschutzmauer folgt der Baukörper des Kesselraums,
der mit 26 m Breite bedeutend schmäler ist und, weil er
zur Hälfte auf Kellerniveau abgesenkt wurde, von
außen dementsprechend weniger hoch erscheint. Das
gesamte Objekt ist zudem unterkellert. Der um 6 m
vorgezogende Treppenturm führt in den ersten Stock in
einen langgezogenen schmalen Bauköper, der von
außen wie das erhöhte Mittelschiff eines
Sakralbaus erscheint. Er faßt die Vorhalle, den
Waschsaal und den Quertrakt baulich zusammen und beinhaltet
auf ca. 10 x 34 Metern die Badeanlage mit Warteraum, 18
Dusch- und 12 Wannenbädern, Toiletten und
Abstellräumen. Gegenüber dem Treppenturm
führt eine schmale interne Wendeltreppe in ein
zusätzlichen Raum von 17 m Länge und nur 4 m
Breite, hinter dessen Bullaugen sich 3 Wassertanks
verbargen.
Der anläßlich der Eröffnung des
Karl-Marx-Hofes publizierten Festschrift läßt
sich die vermeintlich großzügige Ausstattung mit
Wohnfolge- und Gemeinschaftseinrichtungen entnehmen.
Gleichzeitig wird die Anzahl der Wohnungen mit 1382
angegeben, was auf ca. 5500 EinwohnerInnen schließen
läßt. Die Ermittlung der Relationen von
Haushalten und zu Verfügung stehenden
Waschständen, Einwohnern zu Bademöglichkeit usf.
bot sich daher allen zu diesem Thema Recherchierenden
unmittelbar an und wurde auch entsprechend kritisch
bewertet: Zwei Zentralwäschereien mit 62
Waschständen (auf 22 Haushalten kommt daher ein
Waschstand), zwei Bäder mit 20 Wannen und 30 Brausen
(auf 110 Personen kommt eine Bade- oder Duschgelegenheit),
zwei Kindergärten, eine Zahnklinik, eine
Mutterberatungsstelle, eine Bibliothek, ein Jugendheim, ein
Postamt, eine Krankenkasse mit Ambulatorium, eine Apotheke
und 25 Geschäftslokale.
Der Heimhof - Das Einküchenhaus
Der Heimhof stellt insofern eine Besonderheit innerhalb der
Wohnanlagen des Roten Wien dar, als daß er in seiner
ursprünglichen Form definitiv nicht auf
sozialdemokratischen Initiativen, sondern im Gegenteil auf
bürgerlich-liberalen beruht. Die Genossenschaft Heimhof
errichtete diese Anlage mit ursprünglich 26
Kleinstwohnungen für kinderlose Singles und
DoppelverdienerInnen, in denen jeweils auf eine individuelle
Küche verzichtet wurde, um stattdessen im
Untergeschoß eine Zentralküche mit Speisesaal
einzurichten. Die BewohnerInnen konnten täglich aus 4
Menüs, davon einem vegetarischen, wählen, dieses
im Speisesaal einnehmen oder sich das Essen auf Wunsch
mittels Speiseaufzug und Zimmerservice zustellen lassen. In
der Wäscherei wurde die Schmutzwäsche bloß
abgegeben und die saubere abgeholt. Die Kleinheit der
Wohnungseinheiten wurde kompensiert durch Klubräume im
Untergeschoß und eine großzügige gegen
Süden gerichtete Dachterrasse, die beide auch rege in
Anspruch genommen wurden.
Die Entwicklung eigener unkontrollierbarer
Sozialisationsformen kinderloser Intellektueller stand aber
in Gegensatz zur gewünschten geordneten Reproduktion
der Klasse in Kleinfamilien und unter Aufsicht der
Parteiorganisationen. Daher verweigerte sich die
Parteispitze, obgleich von den sozialdemokratischen
Vordenkerinnen (z.B. Therese Schlesinger und Lily Braun),
ebenfalls Intellektuellen bürgerlicher Herkunft, die
Vergenossenschaftlichung der Hausarbeit wiederholt
eingefordert wurde, die Ideen des Einküchenhauses
weiter zu verfolgen, wollte aber zum anderen auch nicht
dulden, daß die Idee (mit Recht) den Bürgerlichen
zugeschrieben würde. So wurde die Genossenschaft von
treuen Parteigängern unterwandert, die
Mehrheitsverhältnisse sukzessive verschoben, um
schließlich die Bürgerlichen an der Spitze
abzuwählen und das Objekt der sozialdemokratischen
Gemeindeverwaltung einzuverleiben.
Diese beauftragte schließlich Architekten, das
ursprünglich freistehende Einzelgebäude durch
entsprechend umfangreiche Zubauten zu einem geschlossenen
Block zu erweitern, in dessen Mitte auch ein
städtischer Kindergarten integriert wurde. Die zentrale
Küchenbewirtschaftung wurde beibehalten und durch die
Erhöhung der Wohnungsanzahl auf 226 auch
ökonomisch rentabler. Die neu errichteten Wohnungen
hingegen waren größer, wurden doch Familien mit
Kindern angesprochen, um die Ur-Heimhofbelegschaft, die sich
auch von den neuen Gemeindebaubewohnern abzugrenzen
versuchte, zu marginalisieren.
Dem sozialen Experiment des Heimhofs war keine langer
Bestand gegönnt. Mit dem Aufkommen der Wirtschaftskrise
verloren die berufstätigen Frauen zuerst ihre
Arbeitsplätze. Sie hatten demnach die Zeit und den
ökonomischen Druck, sich Haushaltstätigkeiten
zuzuwenden, denn aufgrund des Verdienstentganges konnten die
Dienstleistungen des Einküchenhauses nicht mehr
finanziert werden. In die Wohnungen wurden improvisierte
Küchen eingebaut und die Zentraleinrichtungen daher
obsolet. Aufgrund der hohen Anzahl engagierter
Sozialdemokraten und Angehöriger der jüdischen
Volksgruppe wurde spätestens nach der
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein
Großteil der BewohnerInnen delogiert und verschleppt.
Die extrem kleinen Wohnungen ohne die Infrastruktur der
Gemeinschaftseinrichtungen hatten nun jegliche
Attraktivität verloren, wurden für
Notunterkünfte funktionalisiert und verwahrlosten
zusehends.
Im Sinne eines Verweises auf das historische soziale
Experiment beabsichtigt das Frauenreferat der Stadt Wien, im
Rahmen einer aktuellen Generalsanierung 1995/96,
frauenspezifische Initiativen anzusiedeln, vermeintlich
frauenspezifische Nutzungen zu bevorzugen und vermeintlich
frauenspezifischen Anforderungen an Wohnraumgestaltung
gerecht zu werden. Die bereits bestehenden
frauenspezifischen Initiativen verfügen jedoch bereits
seit Jahren über Räumlichkeiten in großteils
besserer städtischer Lage und werden daher kaum bereit
sein, in das angebotene Objekt umzuziehen. Konkrete
Vorstellungen der PlanerInnen bezüglich
frauenspezifischer Nutzungen lassen sich in bereits an den
Umbauplänen ablesen: Zum einen sollen die Anzahl der
öffentlichen Zugänge zum Objekt sollte verringert
werden und der verbleibende zentrale Zugang mit einer
Portiersloge ausgestattet, um dem unterstellten
Schutzbedürfnis von Frauen entgegenzukommen, und zum
anderen wird Nutzfläche des bestehenden
städtischen Kindergartens verdreifacht (!).
Literatur:
Gottfried Pirhofer/Reinhard Sieder, Zur Konstitution der
Arbeiterfamilie im Roten Wien: Familienpolitik,
Kulturreform, Alltag und Asthetik; in: Sozialgeschichte der
Familie, Hrg.: Reinhard Sieder, Wien 1991
Helmut Weihsmann, Das Rote Wien: Sozialdemokratische
Architektur und Sozialpolitik, Wien 1985
Michael Zinganel
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