Geschlecht



von Yvonne P. Doderer

lesbians are so chic...that we are not really lesbians at all. Laura Cottingham

Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus ist die Praxis - so lautete eines der Postulate der Neuen Frauenbewegung Ende der 70er Jahre. Zuvor jedoch, mussten sich lesbische Frauen in den Hinterzimmern der neu gegründeten Frauenzentren treffen, während die angehenden Feministinnen den von ausserhalb kommenden Vorwurf, Lesben zu sein, brüsk von sich wiesen.

Doch es dauerte nicht lange und heterosexuelle Feministinnen sahen sich unversehens in heftigen Auseinandersetzungen um die Widersprüchlichkeit verwickelt, die die Tatsache mit sich brachte, dass sie mit dem Feind Tisch und Bett teilten. Im Zuge dieser Diskussionen, der subversiven Aneignung des Begriffes "Lesbe" und in Abgrenzung zu jeder Art von heterosexueller Kollaboration formierte sich ein lesbischer Separatismus, der die Frauenunterdrückung nicht nur als eine materialistische, geschlechterdifferentielle Unterdrückung analysierte, sondern auch als eine Unterdrückung frauenspezifischer und lesbischer Sexualität. So heisst es zum Beispiel in einem Pamphlet der "radicalesbians" aus den 70er Jahren:"Those sex roles dehumanize women by defining us as a supportive/serving caste in relation to the master caste of men, and emotionally cripple men by demanding that they be alienated from their own bodies and emotions in order to perform their economic/political/military functions efffectively...Only women can give to each other a new sense of self. That identity we have to develop with references to ourselves, and not in relation to men.This consciousness is the revolutionary force from which all else will follow, for ours is an organic revolution" (Radicalesbians,1997,S.154ff). An die mit dieser Forderung einhergehenden Ausschliesslichkeit war die Forderung nach autonomen Frauenräumen und die Suche nach rein frauen-identifizierten Vergangenheiten und Zukünften geknüpft, die zu allerlei Stilblüten, biologistischen Bezüglichkeiten und der Vernachlässigung der Differenzen unter Lesben selbst, führte - aus der heutigen Perspektive betrachtet.

In den 80er Jahren polarisierte sich die Bewegung in zwei Lager. Während die, meist heterosexuellen Frauen, die den Angriffen des lesbischen Separatismus widerstanden hatten, sich unter frauenemanzipatorischen Aspekten staatlicher und parteipolitischer Politik und der Ökologie- und Friedensbewegung zuwandten, verblieb eine grosse Zahl feministisch-lesbischer Frauen in den sich nunmehr professionalisierenden, reinen Frauenräumen, innerhalb und ausserhalb derer sie sich mit kulturellen und gesellschaftspolitischen Themen beschäftigten. Im Gegensatz zu den USA, wo sich lesbische Frauen zusehends unter die Fittiche der gay-community begaben, blieben im europäischen Raum, insbesondere in Grossbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, den skandinavischen Ländern, aber auch in Griechenland und Spanien, eigenständige, temporäre und dauerhafte Strukturen unter Lesben bestehen. Diese Strukturen in Form von Zentren, jährlichen, nationalen und internationalen Treffen, Lesbencamps, Musik- und Theaterfestivals, regelmässigen Discos, politischen Diskussionsforen, Zeitschriften, Verlagen etc., schufen so Frei- und Spielräume, in denen die Aufmerksamkeit immer mehr um die eigene Identität und deren möglichen Äusserungsweisen kreiste. Im Zuge einer wiederentfachten Pornographiedebatte in den USA schwappte denn auch die S/M-Diskussion nach Europa über, ohne sich jedoch so breit wie in den USA zu verankern. Immerhin sorgte diese Welle für einige Aufregung in der feministisch-lesbischen Szene, denn dasThema des sexuellen Missbrauchs von Mädchen und Frauen rückte erneut in den Vordergrund. Nicht wenige Frauen sahen sich in Anbetracht mehr oder weniger artifizieller und gekonnter S/M-Inszenierungen mit ihren eigenen Gewalterfahrungen durch Väter, Brüder und männliche Bekannte, aber auch Mütter, konfrontiert.

Mitte der 80er Jahre erledigte denn auch die These von der "Mittäterschaft" der Frauen (Christine Thürmer-Rohr) zumindest in der bundesrepublikanischen Szene den bis dato bestehenden Glauben, Frauen seien die besseren Menschen. Diese Erkenntnis erleichterte, neben anderen, denn auch die Veräusserung und Veröffentlichung lesbischer Positionen. Die postfeministischen Lesben, die auf die Generation der "radicalesbians" folgte, konnten sich nun der bereits eingeläuteten postmodernen Vielfalt hingeben, ohne länger ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, zum Beispiel bei der Aneigung bislang als rein männlich oder weiblich konnotierter, auch sexueller Praktiken und Darstellungsweisen.

Mit dem Abklingen der rauschenden Champagnernächte der 80er Jahre und im Zuge der Konfrontation mit drohender oder bereits eingetretener Erwerbslosigkeit von Frauen; zunehmender sozialer und gesellschaftlicher Verteilungskämpfe, die meist auf dem Rücken von Frauen ausgetragen werden, die um ihr Recht auf ein von Männern möglichst unabhängiges Leben kämpfen; Kürzung und Streichung staatlich-finanzieller Unterstützung von autonomen Frauen/Lesbenräumen- und projekten; der allgemeinen Schwierigkeit, sich Räume und Räumlichkeiten permanent anzueignen - sei es im städtischen Terrain, sei es in den medialen Räumen - liess manche der Partygängerinnen wieder nachdenklich werden.

Fernab von der akademisch-feministischen sog. Gender-Debatte, die sich insbesondere um die Theorien von Judith Butler entspann und die in erster Linie von heterosexuell orientierten Frauen weiterbetrieben wurde, hatten viele Lesben längst zu cross-over dressing, Lippenstift und Lederbustier gegriffen, um sich gegenseitig in ihrer vielfältigen Einmaligkeit zu bestätigen. Auch wenn manche der betroffenen Lesben noch eine Zeitlang den Verlust einer eindeutigen Lesbarkeit äusserlicher Codes betrauerte - insbesondere dann, wenn sich die Begehrte als männerorientiert entlarvte - bot sich doch die Chance einer neuen Freiheit abseits rigider dress-codes in Hinblick auf den Einsatz subtilerer und wechselnder Darstellungsformen. Damit wurde auch deutlich, dass es anscheinend keinen essentiellen lesbischen Körper gab: "lesbians themselves have to create this body in order to feel they belong to a larger lesbian community, recognizable to its members not through essentialized bodily forms but through representation, gesture and play" (Creed,1995,S.102). Insbesondere das spielerische Moment rückte zunächst in den Vordergrund. Die Offenbarung, die bei der Begegnung mit und Nutzbarmachung von Sexspielzeugen wie Vibratoren, Dildos, Lederfesseln etc. erlebt wurde, beflügelte manche der postfeministischen Lesben zu öffentlichen Auftritten und Performances. "Queer", seltsam, sonderbar verrückt, lautete das neue Stichwort und führte zu viel Verwirrung in den Köpfen einer neuen Generation von Lesben, "wearing black leather in shopping centres" (Jeffreys,1993,S.115). Bei der Propagierung des queer wurde meist übersehen, dass das Spiel mit den Geschlechterstereotypen, Maskerade und Mimicry von Anbeginn sowohl Bestandteil lesbischer Kultur waren, als auch der kulturellen Zuschreibungen, denen Lesben unterworfen waren und sind. Die Lesbe als Mann in einem Frauenkörper, als einbrüstige Amazone, als Teil der animalischen Welt, als Narzisstin, als weiblicher Vampir sind Stereotype, mit denen sich Lesben bereits in den Jahrhunderten vor Freud konfrontiert sahen - und mit der Notwendigkeit, diese Zuschreibungen auch zu leben, um zu überleben: als Tribadin, als Sodomistin, als Frau in Männerkleidern, als Heroine, als sogenanntes Drittes Geschlecht. Die Politik des queer bezieht sich auf eine "Verschiebung in der Analyse der modernen Konstruktion von Geschlecht und Sexualität, die als Effekte bestimmter moderner Bezeichnungs-, Regulierungs- und Normalisierungs-verfahren begriffen werden" (Hark,1993,S.104). Allerdings unterstellt die Kritik innerhalb der Theorie des queer eine Geschlossenheit lesbischer Identität in einer rein oppositionellen Bezugnahme auf Heterosexualität, die so zwar formuliert, jedoch in Theorie und Praxis nicht aufrechterhalten werden konnte. Was Teresa de Lauretis für den Feminismus im Allgemeinen formuliert, gilt auch für den Lesbianismus: denn die Differenzen sind nicht einfach Differenzen und Spaltungen unter den Frauen, sondern, und das ist ebenso wichtig, auch Differenzen und Spaltungen in den Frauen selbst". (Teresa de Lauretis,1993,S.97).

Durch die postfeministische Debatte und deren Rückgriff auf Theoretiker wie Foucault, Lyotard und Deleuze, um nur einige zu nennen, wurde eine grundsätzliche Verunsicherung in Bezug auf politische Standpunkte und Identitäten aufgebaut. Es ist schwer zu glauben, dass die postmodernen lesbischen Theoretikerinnen Mimicry oder Rollenspiel ernsthaft für revolutionäre Strategien halten... Der Sinn der Frage nach dem Standort des Subjekts war, dass die Angehörigen herrschender Gruppen ihre Vorurteile offenlegten, damit die LeserInnen manche Texte als Teil eines Herrschaftsystems erkennen würden. Das ist gut und schön, aber es sind nicht gerade die Angehörigen herrschender Gruppen, die die Möglichkeit ergriffen, radikal unsicher zu sein, und es gibt keinen Grund anzunehmen, sie hätten den Wunsch danach. Nicht die Vizekanzler der Universitäten beginnen ihre Reden mit zwanzig Minuten verzweifelten Ringens um ihren subjektiven Standort und ihr Recht zu sagen, was sie sagen werden. Männliche heterosexuelle weisse Akademiker ergreifen keineswegs scharenweise diese Chance. Es scheinen hauptsächlich Frauen, Lesben, Schwule und Angehörige ethnischer Minderheiten zu sein, die sich zu radikaler Ungewissheit gedrängt sehen... Die lesbisch feministische Kritik an der Institution Heterosexualität scheint nicht willkommen, denn in diesem "Muster" gibt es nur "Heterosexualitäten", und der Plural eignet sich irgendwie nicht für diese Analyse. Überhaupt sind die Pluralformen überall aufgetaucht, wie wir es bei einem postmodernen Ansatz erwarten müssen, der alle Eventualitäten mit Hilfe des Plurals abdecken möchte und so am Ende Lesben und Feministinnen und alles, das politische Analyse genannt werden könnte, ausschliesst. Im Namen der "Differenz" ist hier alles gleich. (Jeffreys, 1994, S.115 ff)

Die unter akademischen Vorzeichen vorgenommenen Analysen im Rahmen der Genderdebatte waren jedoch nicht überflüssig - haben sie doch auf die Notwendigkeit verwiesen, Ausschluss- und Abgrenzungsmechanismen, Biologismen und Konstruktionsbedingungen von Geschlecht und Sexualität, die auch in lesbisch-feministischen Lebensweisen und Theorien existieren, zu entlarven. Nun ist es jedoch an der Zeit, sich von einer blossen Dekonstruktion zu verabschieden und sich in Richtung einer Neukonstruktion von Identitätspolitik zu bewegen und, möglicherweise, ehemals radikale feministische und lesbische Positionen zu revitalisieren. Hierbei einem blossen, unwidersprochenen Traditionalismus zu verfallen, ist ausgeschlossen; zu dürftig sind die Erinnerungen und zudem war eine Musealisierung feministischer Inhalte und Theorien nie ein Problem alter und neuer Frauenbewegungen.

Wir haben unsere Lektionen gelernt; gelernt, dass es keine dem Diskurs vorgängige Natur gibt, auf die wir uns in irgendeiner Weise beziehen können; gelernt, dass Frauen ein mehr oder weniger willkürlicher und konstruierter Begriff ist, der an alle weiteren möglichen Diskurse und Unterschiede geknüpft ist; gelernt, dass Essentialismus eine Falle sein kann, die nur dazu dient, herrschende Strukturen zu unterstützen; gelernt, dass Frauen keine besseren Menschen sind. Die Frage ist hier nur, welche Konsequenzen wir daraus ziehen und ob nur wir allein es sind, die dieses Unterscheidungsvermögen entwickelt haben. Oder, um es auf lapidare und feministisch-materialistische Weise zu formulieren: geht es, zumindest in weiten Teilen der westlichen Hemisphäre noch nicht um das Brot, so geht es zumindest um die Butter auf dem Brot - und die lassen sich selbst homosexuelle Männer ungern nehmen. Nicht dass erneut ein weltumspannender Geschlechterkampf eingeläutet werden soll - so ist doch nicht zu übersehen, dass sich ausserhalb subkultureller Nischen nichts Wesentliches verändert hat - selbst die bundesrepublikanische Grüne Partei hat dies seit einiger Zeit festgestellt, indem sie die Frauenbewegung für als nicht mehr länger relevant erklärt hat, ohne dass eines ihrer Ziele wirklich erreicht worden wäre. Was für eine praktisch-politische Sichtweise gelten kann, mag ebenso für ihre theoretische Seite gelten, denn "feministische und lesbische Theorie ist weder allein eine Theorie der kulturellen Gender-Unterdrückung, wie es viel zu oft in den Textbüchern der Frauenstudien wiederholt wird, noch ist sie die essentialistische Theorie der Natur der Frau, die manche einer anti-essentialistischen, post-strukturalistischen Kulturtheorie entgegenstellen". (Teresa de Lauretis,1993, S.102)

Doch wir sollten uns nicht zu sehr verunsichern lassen und in das gleiche Horn der Marginalisierung unserer Zusammenhänge blasen. Es gibt uns als kritisch-feministische Lesben noch, es gab uns immer und es wird uns weiterhin geben. Es gibt uns auch dann noch, wenn der Trend des, wie es die Kunstkritikerin Laura Cottingham formulierte, "lesbian chic", der sich seit einiger Zeit in den Medien ausbreitet, abgeebt sein wird.

Auf dem Hintergrund eines life-style Lesbianismus kam es zu Filmproduktionen wie zum Beispiel "Thelma und Louise", "Grüne Tomaten" und "Bound". Filme, deren Inhalte jedoch das klassische heterosexuelle setting einer Binarität zwischen männlich gleich aktiv und weiblich gleich passiv wie im Fall von "Thelma und Louise" oder zwischen butch und femme wie bei "Bound", nicht verlassen. Diese Filme, und Inszenierungen à la Madonna,dienen kaum dazu, einen ernsthaften Blick auf die Wirklichkeit lesbischer Lebensformen zu werfen; geschweige denn, dass sie zu adäquaten Repräsentationsformen führen: "Lesbian representations will continue to be organized into systems of meaning that subordinate female empowerment to male control until lesbianism is itself freed from the laws and customs that prohibit and punish its full practice". (Laura Cottingham, lesbians are so chic...,1996, S.34)

Der Trend des lesbian chic bleibt, wie nicht anders zu erwarten, ohne weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen, die tatsächlichen Lebensweisen von Lesben betreffend: "Despite the hopeful or cynical denials of those who would prefer to analyze it another way, the primary function of "lesbian chic" as presently constructed is not to offer lesbians greater access to the political and social dialogue which constitutes culture (excluding lesbians from the actual production of our images is a central feature of this apparatus), but to bring "the lesbian" into the viewfinder in order to make a more direct aim at her ". (Laura Cottingham, lesbians are so chic...,1996, S.17)

So ist denn auch die Begeisterung und das Engagement für die performativen Subversionen, wie von Judith Butler vorgeschlagen, nur auf dem Hintergrund eines akademisch-theoretischen Feminismus/Lesbianismus zu teilen, der die Geschichte und Praxis von Lesben ignoriert. Die grundlegende Problematik dieser Dekonstruktionstheorien liegt, ohne an dieser Stelle ausführlicher darauf eingehen zu wollen, darin begründet, dass sie von einer grundsätzlichen, unterschiedslosen und ausschliesslich diskursiven Bedingtheit jedweder Identität ausgehen. Dass die Diskurse selbst sich sehr wohl voneinander unterscheiden, dass bestimmte Diskurse unterdrückt und ein hierarchisches Gefälle innerhalb der Diskurse besteht, wird dabei geflissentlich übersehen bzw. eben nicht zum eigentlichen Ausgangspunkt der Analyse gemacht. Die Kritik richtet sich gegen einen Fundamentalismus der feministisch-lesbischen Theorie ohne den Fundamentalismus, der mit der Setzung des Diskursiven als einem Universellen, Durchgängigen einhergeht, in Frage zu stellen: "es gibt keine mögliche Tätigkeit oder Realität ausserhalb der diskursiven Verfahren..." (Butler,1991,S.217). Der Zusatz, den Laura Cottingham auf lesbians are so chic, folgen lässt, verweist hierbei in die richtige Richtung: "...that we are not really lesbians at all". So gesehen, beinhaltet eine "Dekonstruktion der Identität" sehr wohl eine "Dekonstruktion der Politik". (Butler, 1991, S.218)

Angesichts dieser Implikationen, den eigenen Unzulänglichkeiten und der sich ausbreitenden hilflosen Befindlichkeit angesichts der Dichte der Probleme, mit denen wir uns, mittelbar und unmittelbar, konfrontiert sehen, sollten wir jedoch nicht den Fehler begehen, die Wahrheit ausserhalb von uns selbst zu suchen. Dies mag unanalytisch anmuten, entspricht jedoch der Begrenztheit unseres gegenwärtigen Daseins. Auch Deleuze hat formuliert: "es wird stets eine Beziehung zu sich geben, die den Codes und Mächten Widerstand leistet". (Deleuze,1992, S.145)

Dies heisst auch, sich zu vergegenwärtigen, welche Qualitäten zumindest partiell, am Rande des main-streams und von scheinbarer Bedeutungslosigkeit, errungen werden konnten. Die Lesbenbewegung oder die Bewegung, die entsteht, wenn sich Frauen anderen Frauen gänzlich zuwenden, gründet sich nicht in erster Linie auf ökonomische Überlegenheit, Nationalismen und Rassen- und Klassentrennungen, auch wenn sich die Einzelne in diesen Grenzen zwangsläufig bewegt, einen Teil ihrer Identität daraus bezieht und darin Einschränkungen, Verwundungen und Gewalt erfährt - und diese auch weitergibt. Die mit dieser Bewegung identifizierten Individuen bewegen sich trotz alledem über diese Abgrenzungen hinweg, indem sie individuelle und kollektive Bündnisse eingehen, um diese Schranken, und die Reduktion auf ein blosses Geschlecht, zu durchkreuzen.

Die Bewegung selbst etabliert sich im günstigsten Fall auf städtisch-lokalem Terrain. Es ist der lose Verbund, der diese Bewegung kennzeichnet und die darin enthaltene Verbindlichkeit bedarf keiner Verrechtlichung. Konsens wird über Austausch und Prüfung hergestellt. Die Andere wird gecheckt, doch die räumliche Nähe und Verdichtung innerhalb dieser subkulturellen Strukturen erfordert es, Raum zu geben und, falls nötig, Platz zu machen. Die Dichte und Anonymität des Städtischen ist das adäquate Feld, um Gruppen zu bilden und Verbindungen herzustellen. Ebenso wie der anonym- städtische Raum die Möglichkeit bietet zu Verdichtung bis hin zu Auflösung und Leere, entwickeln sich die Bezüge untereinander: die Bandbreite reicht von Intensität bis hin zu Gleichgültigkeit und Ablehnung. Die Organisationsformen, die sich in diesem Kontext entdecken lassen, basieren auf einer eingeschränkten Ökonomie und sind deshalb in hohem Masse effektiv, denn die sich in diesem Spiel befindlichen Geld- und Kräftesummen sind beschränkt. Einzig der Mangel ist es, der diese Qualitäten oft nicht erkennen lässt - grundlegend ist hierbei das internalisierte Moment des scheinbar Mangelhaften der eigenen Existenz.

Es ist der eine bestimmte Augenblick, "der eine Erkenntnis hervorbringt, die die Bedingungen definiert, unter denen jegliches Wissen möglich ist" (Foucault,1994, S.213). Einer dieser Augenblicke ist die bewusste Entscheidung, sich als Frau einer anderen Frau auch auf sexueller Ebene zuzuwenden; das Begehren und die Lust mit dieser zu teilen. Welche Erkenntnis kann dieser Augenblick hervorbringen? Es ist nicht allein der körperlich-sexuelle Akt, der hier vollzogen wird - denn dies allein würde nicht genügen. Es ist die Möglichkeit, ein Bewusstsein über die Chance zu einer Form der Selbstbestimmung zu entwickeln, die alle Ebenen umschliesst, ohne dass damit die Produktion der eigenen Identität abgeschlossen wäre. Diese Art der Selbstbestimmung, die keiner Vorstellung eines einheitlichen Subjektes bedarf, mündet in einer Praxis, deren Ziel es ist, sich weder in das herrschende, auf den Komplex des an den Konstruktionen von Heterosexualität und Dominanz des Männlichen ausgerichteten Machtdispositivs zu integrieren, noch davon marginalisieren zu lassen. Dies ist zweifelsohne ein beschwerlicher und oft schmerzhafter Weg, der von Ungewissheit bestimmt ist.

Eines der nicht zu unterschätzenden Momente auf diesem Weg ist die Erfahrung eines an Lust und Begehren gekoppelten Positivismus und eines virulenten Vitalismus. Eine davon geprägte Sichtweise und Aktivität entsteht dann, wenn in dieser Begegnung die eigenen, internalisierten Abwertungen überwunden werden können und so Momente von subjektiver und individueller Authentizität entstehen. Es ist nicht das Moment der Begegnung mit einem Ähnlichen oder Gleichen im Gegensatz zu einer Begegnung mit einem Anderen, wie so häufig innerhalb des Diskurses um Sexualität kolportiert wird. Die Andere bleibt die Andere, trotz aller möglicherweise erfolgenden Identifikationsversuche. Es ist die Erkenntnis und Erfahrung einer Akzeptanz, die innerhalb einer heterosexuell-konstruierten, auf vermeintliche Differenz getrimmten Begegnung nur gelegentlich möglich ist. Wir sind nicht unsere Körper - und doch brauchen wir unsere Körper, um ein Bewusstsein zu entdecken und um die Erkenntnis zu gewinnen, dass es etwas gibt, das jenseits von allem Körperlichen geht, ohne dass wir den Körper dadurch abwerten. In der scheinbaren Gegensäztlichkeit von Körper und Geist, Alltagswelt und Theoriegebäude, hat sich die westliche, am Dualismus orientierte Philosophie immer schon bewegt - es ist auch ein Verdienst der Lesbenbewegung, auf der Bedeutung des Körpers als einem Instrument positiver Erkenntnis und Praxis zu bestehen, ohne dabei den Verstand zu verlieren.

 

Literatur:

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991

Cottingham, Laura: lesbians are so chic.... London/New York 1996

Deleuze, Gilles: Foucault, Frankfurt am Main 1992

Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1994

Hark, Sabine: Queer Interventionen. In: Feministische Studien, Kritik der Kategorie Geschlecht, Weinheim 1993, Nr.2

Jeffreys, Sheila: Ketzerinnen, München 1993

Radicalesbians: The Woman Identified Woman. In: Nicholson, Linda (ed.): The Second Wave. A Reader in Feminist Theory, New York/London 1997

Thürmer-Rohr, Christine: Vagabundinnen, Berlin 1987

Lauretis, Teresa de: Der Feminismus und seine Differenzen, In: Feministische Studien, Kritik der Kategorie Geschlecht, Weinheim 1993, Nr.2


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