Geschlecht

gefährliche freundinnen
von Marion von Osten

Seit Beginn der 90er Jahre sind die Konzepte für "sauberer Innenstädte" zum Alltag europäischer Stadtpolitik geworden und führen zu fast identischen repressiven Massnahmen. Von Amsterdam über Köln, Berlin, hin zu Wien und Zürich werden nicht in die normative Logik eines bürgerlichen Lebens zu integrierende Personen in den Medien als "krankhaft" oder "kriminell" dargestellt und durch entsprechend executive Massnahmen aus dem Blickfeld der sog. bürgerlichen Öffentlichkeit geschafft. Die durch die Medien geschürten Ängste vor angeblicher "Verslumung" und “Ueberfremdung" von Stadtvierteln und Strassen auf denen "Chikagoer Verhältnisse" herrschen würden, haben neben dem Effekt eines stetig wachsenden Alltags-Rassismus, auch einem paraneuischen Boom privater Sicherheitsdienste zur Folge. Im Zuge der Privatisierung und Kommerzialisierung ganzer Stadträume wird die Stadt nach "Ladenschlusszeiten" geschlossen . Obwohl steigende Kriminalitätsraten nicht nachweisbar sind, dienen die Strassen und öffentlichen Räume der Grossstädte als Gefässe für Angstprojektionen und Abstiegsängste, die an spezifischen "Randgruppen" festgemacht werden.

Im folgenden Text möchte ich auf Grund dieser Entwicklungen aufzeigen, dass diese Kontroll- und Disziplinierungsmassnahmen stadtfeindlichen und bevölkerungspolitischen Konzepten entstammen


BorderLines

Der überwiegende Teil der Stadtstrukturen, in denen wir heute leben sind währendes des gesellschaftlich- ökonomischen Wandels zu Beginn des 19ten Jahrhunderts entstanden, als die Industrie sich, um in die Nähe des Kapitals zu kommen an den Rändern der Stadt ansiedelte. Die Prozess der "Verstädterung" wird von fast allen Beobachtern als Chockerlebnis beschrieben. Die Bühne für diese Chockerfahrungen ist die Strasse. Friedrich Engels beschreibt beispielsweise1844 in "Die Lage der arbeitenden Klasse in England "...Schon das Strassengewühl hat etwas Widerliches, etwas wogegen sich die menschliche Natur empört. Diese Hunderttausend von allen Klassen und Ständen die sich da aneinander vorbei drängen ...rennen aneinander vorbei, als ob sie gar nichts miteinander zu tun hätten.... Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes Einzelnen auf seine Privatinteressen tritt um so widerwärtiger und verletzender auf, je mehr dieser Einzelne auf den kleinen Raum zusammengedrängt ist. .." Die städtische Leben ist für Engels beispielhaft für die "Entfremdung" im Hochkapitalismus, die er u.a. an Hand der sozialen Missständen in den Londoner Arbeiterquartieren festmacht. Die Migrationsbewegung der ArbeiterInnen vom Land in die Städte führten an der Peripherie zu Ansiedlungen, die aufgrund niedriger Löhne und hoher Mieten ’verslumten' . Diese Peripherie war gegenüber dem Zentrum der Stadt so angelegt, dass die BürgerIn die Stadt durchschreiten konnte ohne dem "Elend" zu begegnen. Dennoch drangen die Beschreibungen der sozialen Missstände immer lauter an die Öffentlichkeit . Nach 1848 war es vorallem dieses topographische "Elend" das Hygieniker und Reformer bis in die Moderne dazu antrieb "die engen Gassen und Winkel zu durchlüften" zu "säubern" und abzureissen, dem "wuchernden (roten) Gürtel" den gar auszumachen. Die stadtplanerischen Massnahmen war sozial-hygienisch motiviert. Neben ihrer karitativen Geste sollten in die “gefährliche Klasse" der ArbeiterInnen bürgerliche Lebens- und Habitusformen durch neue Gesundheits- Wohlstands- und Moralvorstellungen installiert werden.

In Friedrich Engels Beschreibung der Metropolen Paris und London finden sich ebenfalls konservative Elemente, die den Verlust einer agrikuturellen, grossfamiliären Identität beklagen. Die "menschliche Natur" und ihr ursprüngliches soziales Bezugssystem die "Familie" war von der Grossstadt bedroht. Nicht nur die zu engen Arbeiterquartiere sind es die "Krankheiten" erzeugen, sondern das städtische Leben selbst galt bald als "zersetzend". Dabei spielt die sich wandelnde Rolle der Frau eine wesentliche Rolle. Denn was den bürgerlichen Sozialpolitikern der Erhalt der Familie als kleinste Staatseinheit war , war der männlichen Arbeiterschaft die Angst durch stetige Lohnsenkungen ihre traditionellen Privilegien zu verlieren, die der Frau eine Stellung im Heim zuwies und sie von der Produktionsarbeit auszuschliessen versuchte. Die Abschaffung weiblicher Erbfolge, sowie Änderungen von Mitgift- und Erbgesetzregelungen machten in dieser Gesellschafts-konstruktion den Mann zum Ernährer der Frau und sie damit mittellos. Die Frau im Inneren des Hauses positioniert, als Erzieherin wurde zur Mittlerin zwischen Staat, Schule und Institutionen und Garantin für den den Erhalt der biopolitischen Ordnung. Der Mann in das ’öffentliche' Leben nach aussen positioniert wurde zum Garant stetig wachsendem Wohlstands und Profits. Diese ’sozialpolitischen' Massnahmen schafften einen Zusammenhang zwischen öffentlichem und privatem Leben, zwischen Stadt und Familie. Erst in der neuen Frauenbewegung in den 70er Jahre dieses Jahrhunderts wurde mit der Forderung das “Private ist politisch" dieser Umstand ins öffentliche Bewusstsein zurück-gerufen.


Paris is a woman

Im Laufe des 19ten Jahrhunderts werden die Begegnungen der Strasse immer wieder als differenzlos, als Begegnung mit einer "Masse" oder "Menge " beschrieben. In der Wahrnehmung des “Strassengewühls" heben sich die Klassenunterschiede auf. Das öffentliche Leben wird stereotypisierend vergleichbar zum Produktionsprozess "einer grossen Maschine" dargestellt . Walter Benjamin beschreibt diese Wahrnehmungsverschiebung am Werk Baudelaires. Die Grossstadt wird für den Flaneur zur kaleidoskopisch, simultanen Erfahrung. Der Bewegung der Strasse gibt er sich hin “wie an eine Frau". Differenz erscheint dem männlichen Beobachter (Künstler ) nur durch die Sexualisierung der Strasse, in der Person der PassantIn oder Prostituierten .

Die gesellschaftliche und ökonomische Ungleichheit der Frauen führte vor allem im Milieu der Arbeiterin oder Dienstmädchen zur Prostitution. Vergnügungsviertel siedelten sich an der Grenze zwischen bürgerlicher Innenstadt und proletarischer Vorstadt an und bildeten so einen Ring des "Lasters". Das Bild des Absturzes für den, der sich zur sehr in den Bann der Grossstadt ziehen liess, war neben dem "in der Gosse zu landen", also der Obdachlosigkeit zu verfallen, das der "Geschlechts"-Krankheit. Trotz der breit angelegten sozialpolitischen Massnahmen Frauen auf ihre reproduktive Rolle zurückzuweisen, führte die kapitalistische Stadt auch dazu dass Frauen vermehrt als ArbeiterInnen und Angestellte, TänzerInnen , Femme Nouveau und Prostituerte im öffentlichen Raum sichtbare AkteurInnen wurden,die dem mänlichen Betrachter, dem Bourgoise oder Flaneur Verführung, aber auch Gefahr und Auflösung bestehender sozialer Verhältnisse bedeutete, die mit den Gefahren des städtischen Lebens gleichgesetzt wurden.

Wenn Stadt als “ gefährlich" und demoralisierend beschrieben wird, ist dies immer schon Resultat von Konflikten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und sich wandelnder Lebensverhältnisse gewesen, die mit der alten "Ordnung" kollidierten. Die Stadt verstanden als eine ’künstliche' gegenüber einer ’natürlichen' Ordnung wird immer wieder zu Projektionsfläche die inhumane Lebensverhältnisse erzeugen würde. Die Stadt als "Dschungel" rechtfertigt auch ihre “Bändigung" und Kontrolle. So ist gerade die anti-urbane, paraneuische Sicht auf die Stadt, die Angst vor der Strasse, dem "Moloch Grossstadt" u.a. die Ursache moderner Planungsmythologien. Jane Jacobs beschreibt in "Tod und Leben grosser amerikanischer Städte" (1963) das Reformarchitektur , Gartenstadtbewegung und Vorstadtsiedlung ebenso von den Paradigmen eines “entfremdeten" Stadtlebens bestimmt sind, sowie Le Corbusiers Citè Radieuse, die durch die Charta von Athen bis heute nachwirkte . Die "Anti"-Städtische Bewegung empfand nicht nur die wachsende Stadtstruktur , sondern vorallem die Auflösung der klassischen Familienstruktur und damit die Verschiebung traditioneller Geschlechterrollen als eine Bedrohung. Sie erfindet sich zur Kontrolle des “Chaos" den Stadt-Planer, der nun als Disziplinierungsinstanz Ordnung in die Sache bringen soll und die Trennung von öffentlichem und privatem Raum architektonisch manifestiert.


Alone on an BusStop

Das Frauen im Privatraum, und dies vor allem in der Ehe am häufigsten Opfer von Gewalt sind (über 80%) führte dennoch seit Beginn der 80er Jahre vorallem zu r Auseinandersetzung feministischer Planerinnen und Architektinnen mit dem öffentliche Raum als sog. weiblichen Angstraum. Angst wird hierbei als Angst vor Gewalt von Männern an Frauen beschrieben. Sie macht damit nicht nur erneut Männern zu Tätern und Frauen zu deren Opfern, sondern den öffentlichen Raum erneut zum gefährlichen Ort, den es (für Frauen) zu meiden oder (von Frauen als "sozialkompetente Personen") zu kontrollieren gälte. Das diese nicht allein eine "feministische Haltungsfrage" ist, in der sich traditionelle Rollenstereotypen auch im Verhältnis zur Oeffentlichkeit unhinterfragt erneut abbilden, zeigen die räumlichen Konsequenzen die diese Forderungen haben können. Die Sicherheits-diskussion der PlanerInnen führten bis in die 90er Jahre u.a. zu Kartografien der "Angst" . In diesen speziell angefertigten Plänen wurden Ort markiert in denen sich angeblich sog. "unangenehmes Publikum" aufhalten würde.(Wettbewerbsunterlagen zur Frauenstadt Mainz). Beispiele aus sogenannten "Gestaltungslösungen" die öffentliche Plätze durch "Ordnung" , "Licht" und "Sauberkeit" zu domestizieren versuchen und von sich behaupten diese Plätze könnten "Gewalt verhindern", zeigen meist das krasse Gegenteil. (Richtlinien für eine sichere Stadt, Wien) Gerade die Kolonialisierung des öffentlichen Raumes mit allgemeiner "Wohlanständigkeit" produzieren nicht zu unrecht Aggressionen an den diszipliniernden Objekte von Denen, die so ganz abstrakt damit gemeint und ausgeschlossen sein sollen.

Die Schweizer Geographin Nicole Stolz bestätigte meine Annahme, dass die von den befragten Frauen geäusserten topographischen Ängste zum grossen Teil medial produziert sind. In einer Erhebung in Bern fand sie heraus das die von Frauen als "gefährlich" bezeichneten Plätze vorher bereits in der Presse als Orte von DrogenbenutzerInnen, Jugendlichen und rassistischen Stereotyp sog. “ausländischen " Kriminellen beschrieben wurden.

Es geht mir nicht darum die feministischen Planungsansätze und Analysen mit repressiver Polittik gleichzusetzen, aber sie zeigen paradigmatisch auf wie stark der öffentliche Raum durch negativ konnotierte Werte bestimmt ist die an nicht- zu integrierenden Bevölkerungsgruppen festgemacht werden, ohne aber die eigene SprecherInnenposition und Planungsmythologien zu befragen.


Zurück zur U-Bahn. Zurück zum Beton.

Die frühen achtziger Jahre zeichneten sich durch eine urbane Revolte einer heterogenen widerständigen Bewegung aus, die in den europäischen Grosstädten (und studentischen Kleinstädten) "selbstbestimmte" Räume forderten, die nicht von bürgerlichen Kultur- und Verwaltungsinteressen besetzt waren. "Unsere" Räume waren aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandel oft leerstehende Fabrikhallen und vereinsamte Bunker ,die weder für nationale noch kapitalistische Zwecke mehr von Verwendung sein konnten. Sie standen dem Abriss nahe waren Brachen, die gesellschaftlich als "wertlos" gebrandmarkt , Orte des Begehrens wurden.

Sich diesem Industrieschrott des Postfordismus anzunehmen war Ausdruck einer "inneren" Revolte -denn sie artikulierte sich nicht als im klassischen Sinne politische Bewegung- die sich gegen Elternhaus und Schule aber auch gegen die Privatisierung und Psychologisierung des Alltagslebens auf lehnte. Stadt war nicht ein der Natur entgegengesetzter Raum mehr, sondern Aktions- und Veränderungsfeld. Künstlichkeit, Coolness, Beziehungslosigkeit, die ewige Kritik an der Stadt wurde positiv umgewertet. In der Musik dieser Zeit findet man unzählige Songs die neben anderen Weiblichkeitsbildern (aggressiven Städterinnen) die Stadt als eigentlich lebenswerten Raum beschreiben. Die "New Wave" StädterInnen liebten leerstehende Schwimmbäder , Unterführungen und Brandmauern, aber auch Gemeindehallen und Schulaulen, denn die Orte hatten ihre eigentliche Zweckbestimmung verloren. Jeder Ort der Stadt konnte in dieser Logik besetzt werden, wenn auch nur temporär.Sogenannte Stadtplanungssünden, Grand Ensembles, Beton , 50er und 60 Jahre Wiederaufbau-Modernismen wurden zu einer gebrochenen Identifikationsfläche für anti-bürgerliche Widerstände . Dieses Phänomen findet man heute durchaus wieder , wenn auf Baustellen, in leerstehenden Dienstleistungsgebäuden, oder klassischen "Angsträumen" wie Fussgänger-unterführungen Techno-Parties veranstaltet werden. Allerdings führten die 80er Jahre Hausbesetzungen neben dem Effekt Spekulationspolitik aufzudecken, auch zu stadtpolitischen Kämpfen. Stadtautobahnen waren zumindestens kurzfristig von ihrer Realisierung bedroht. Die Zeit der Dienstleistungsstädte hatte begonnen aus "Krankfurt" wurde bald die Museumsrmeile "Bankfurt".

Wenn Stadträume durch Werte bestimmt sind, lassen sich diese Werte auch umdeuten, durch Gegendarstellungen, neuen Erzählungen, öffentliche Aktionen und Interventionen.

Marion von Osten 1997

 


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