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Die 'imaginierte Weiblichkeit' der Städte
Zum Verhältnis von Stadt und Frau im Film

Die filmische Darstellung von Städten und von Frauen wird unter dem Aspekt ihrer ideengeschichtlichen Verknüpfung betrachtet, d.h. es wird gefragt, welche Rolle Frauenbilder bei der Porträtierung einer Stadt spielen, welche Weiblichkeitsmetaphern verwendet werden, in welchem Kontext sie auftreten etc. Denn die Erzählung, Beschreibung und Darstellung einer Stadt, ihre Imaginationsgeschichte, prägt unsere Art und Weise der Wahrnehmung, unser Erleben eines Ortes mit. Stadt und Raum werden dabei nicht als objekthaft, sondern als von den Subjekten sinnhaft konstituierte soziale Wirklichkeiten angesehen. Damit ist in diesen auch die Geschichte der Geschlechterverhältnisse eingeschrieben. Dem Film kommt dabei als Massenmedium insofern eine bedeutende Rolle zu, als er unsere Wahrnehmung der Welt ausserhalb unserer eigenen Erfahrung prägt. Im Film werden Vorstellungen und Bilder übermittelt die wir im Alltag (oft) nicht überprüfen können, uns jedoch spezifische Denk- und Abbilder einer Stadt liefern.

Untersuchungen in der Literaturgeschichte zeigen auf, dass zur Beschreibung der Stadt oft Weiblichkeitsbilder herangezogen werden, oder die Stadt weiblich sexualisiert wird.1 Beginnend bei den Gründungsmythen zieht sich diese Verknüpfung über die weiblichen Städteallegorien bis in die Literatur der Moderne hinein. Besonders mit dem Aufkommen des Phänomens Grossstadt/Metropole entstanden neue Bilder und Phantasmen die mit Weiblichkeitsmetaphern operieren. So wird z.B. Berlin einmal mit dem Etikett 'Hure Babylons' versehen, ein anderes Mal als 'ein Mädchen in einem Pullover' charakterisiert. Bei der Figuration der Stadt als Körper treten Imaginationen der bedrohlichen und verschlingenden Frau bis hin zu Phantasien der begehrenswerten, sich dem Entdecker hingebenden Frau auf. In dem Gedicht 'Grossstadt' (1946) von Wolfgang Borchert ist die Metropole sowohl Göttin, Hure als auch Mutter. Die Beschreibungen bedienen sich bestimmter Stereotypen von Weiblichkeitsvorstellungen, die mit spezifisch empfundenen Situationen verknüpft und verortet werden. Die als Gegensatzpaar fungierenden Bilder der Mutter und der Hure werden oft Situationen von Wohlbefinden und Schutz bzw. Bedrohung zugeordnet und Innen bzw. Aussen positioniert.

Ein Beispiel eines Films bei dem Grossstadt mit all ihren weiblichen Metaphern thematisch Gegenstand der Handlung ist, ist Karl Grunes 'Die Strasse. Geschichte einer Nacht.' (1923)2. Ein Kleinbürger folgt darin seinen Phantasien über die nächtliche Stadt als Vergnügungsort und Begegnungsort von Mann und Frau und entflieht seinem Heim. Er trifft eine junge Frau die ihn in ein Vergnügungslokal lockt, er gerät in Schwierigkeiten und landet zuletzt wieder zuhause, wo er sich am Busen seiner Ehefrau wieder aufrichten kann. Die Strasse bzw. die nächtliche Stadt wird dabei anhand der jungen Frau (deren Aeusseres keine Unterscheidung zwischen einer Prostituierten oder einer der damaligen Kinogängerinnen zulässt) als Ort der Verführung, des Chaos und der Gefahr dargestellt, etwa wenn sich ein Totenkopf über ihr Gesicht legt. Die junge Frau ist dabei Kollaborateurin der Sünde, Verursacherin des Chaos, der Mann dessen Opfer. Im Gegensatz dazu wird die Ehefrau als mütterliche Rolle 'Innen' positioniert, mit einem immer bereiten Suppentopf. Zu ihr dringen die Versprechungen der Strasse nicht durch. Schaut sie aus dem Fenster sieht sie im Gegensatz zu ihrem Mann, dem sich ein Bild eines Vergnügungsortes bietet, nur den Alltag, Leute die eilig die Strasse überqueren. Damit wird auch eine klar geschlechtspezifische Stadtwahrnehmung inszeniert.

Hat sich nun die Rede von der Stadt vom Bild eines kohärenten Körpers wegbewegt, um der Komplexität von Grossstadterfahrung entsprechen zu können, soll als Beispiel für einen Film der jüngeren Vergangenheit J.-L. Godards "2 ou 3 choses que je sais d'Elle" (1966) stehen3. Auch in diesem Film ist die Stadt selbst Gegenstand der Handlung. Beschrieben wird jedoch eine neue Art von Stadt, die Trabantenstädte mit ihren âGrands Ensembles'. Godard porträtiert darin quasi dokumentarisch 'Elle', die 'Région Parisienne' (Untertitel) anhand bzw. parallel zu 'Elle' seiner Protagonistin. Der Film begleitet einen normalen Tag lang Juliette, eine junge Frau die mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Banlieu von Paris wohnt. Juliette ist als Hausfrau tätig und geht nebenher der Gelegenheitsprostitution nach. Neben dieser Haupterzählung werden immer wieder Momentaufnahmen der Stadt gezeigt. Eine flüsternde männliche Stimme erklärt und relativiert die Bilder und Handlungen; Sie spricht über den Krieg in Vietnam, Prostitution, den Zusammenhang von Sprache und Bild etc.

Die Verknüpfung von Stadtbeschreibung und Weiblichkeitsbildern geschieht hier ganz bewusst. Nach Godard ist selbst die 'condition humaine' am deutlichsten an der 'condition féminine' darstellbar4. Die oft tradierten Bilder der Hure und der Mutter werden auch in diesem Film verwendet. Diese zwei Rollen sind jedoch in einer Person vereint und stellen kein Gegensatzpaar dar. Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf der Rolle der Prostituierten, deren Bild er für seine Kritik an der Stadt verwendet. Obwohl der Filmkommentar die ganze Gesellschaft der Prostitution bezichtigt, stellt er sie nur anhand der Frauen dar. Dabei wird der Charakter der Ware herausgestriche: 'Sie' erscheint körperlos, fragmentiert, emotionslos und beziehungslos. Damit wird die Frau/Stadt zwar nicht mit klassischen Attributen der Prostitution versehen und verliert den Aspekt des Reizes, der Verführung (Godards Wahl einer attraktiven jungen Frau zur Protagonistin lässt er unkommentiert). Er liegt dabei jedoch in der Tradition der Heranziehung der 'weiblichen' Metapher der Prostitution um eine als negativ bewertete Entwicklung darzustellen. Dieser Prozess wird zum Teil reflektiert indem der Stadt/Gesellschaft eine eigene Rolle zugesprochen wird, sie zu einer über die Person sprechenden wird, d.h. er bewusst macht, dass ihr Bild auf das der Frau geworfen wird.

Umsetzung: Die Ergebnisse der Analyse werden anhand kurzer Videofilme, die mit den benutzten Bildern spielen und sie kommentierten, dargestellt.

1) vgl. hierzu: Weigel, Sigrid. Topographien der Geschlechter: Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH. Reinbeck bei Hamburg, 1190.

2) Katharina Sykora hat diesen Film exemplarisch nach der Frage der Konstruktion des 'Weiblichen' im Strassenfilm der Weimarer Republik untersucht. Vortrag an der ETH Zürich, Lehrstuhl Prof. F. Ruchat, Abt. für Architektur. SS 1994.

3) Diplomwahlfacharbeit, zusammen mit Denise Ospelt, Abt. Architektur, ETH Zürich, 1995.

4) Brändli, Sabina: Jean-Luc (rè)ELLE; Qu'est-ce qu'IL sait d'ELLE? In: Filmbulletin 6.93. S. 20-34