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Die CITI schläft nie
"Digitale Städte" und ihre realen Effekte
Jochen Becker

Wie wird "Globalisierung" dargestellt? Welche Folgen hat der "weltweite" Handel? Und was bedeutet Digitalisierung für die Stadtentwicklung? Ich möchte hierzu einen Fernsehspot der zur New Yorker Finanzgruppe Citicorp gehörenden Citibank Privatkunden AG, Düsseldorf, heranziehen. Die Citibank ist zuletzt vielen Zugreisenden bekannt geworden, hat sie doch den Alleinvertrag für die Kreditkartenfunktion der BahnCard, und somit schlagartigen Zuwachs an KundInnen bzw. Zugriff auf deren Daten und Konsummuster.

Sprecher: "Eine Welt - ein Konto. Das internationale Girokonto der Citibank bietet Ihnen unbegrenzte Möglichkeiten. Sie können bei der Citibank rund um den Globus Ihren Kontostand abrufen, weltweit Bargeld abheben - und das Beste: es geht bequem auf deutsch. Also: Machen Sie die Welt zu Ihrem Girokonto."

Schrifttafel: THE CITI NEVER SLEEPS. CITIBANK. Infos: 0180.33 22 111

Die als globale Finanzdienstleisterin firmierende Citibank gab einen Fernsehspot in Auftrag, in dem sich neben einer Illustration der "Globalisierung" zahlreiche Merkmale digitaler Städte finden. Unter "Digitale Städte" möchte ich die sich auf Stadtmodelle berufenden Computernetzwerke ebenso fassen wie die Herausbildung von Global Cities, von neuen Randzonen und Ausgeschlossenen als realer Effekt der Telematik, also der Verknüpfung von Computern und Datennetzen.

 

Was läßt sich an 30 Sekunden Werbung ablesen?

Die auf das Privatkundengeschäft spezialisierte Citibank stellt sich mittels der bildschirmfüllenden Erdkugel als Global Player vor. Ihre Handelsware Geld - so signalisiert sie den fernreisenden ZuschauerInnen - sei dank Telematik rund um die Uhr und rund um den Globus verfügbar. Diese Global Players operieren "weltweit" und decken dabei lokale Märkte ab. Der Spot symbolisiert dies mit wechselnd aufgesetzten und vorrangig männlich konotierten Kopfbedeckungen: ein Cowboyhut für die USA, ein Strohhut für Südostasien, ein Bowler für Großbritannien, eine gefaltete Papiermütze aus europäischen Geldscheinen für Europa, ein Trachtenhut für den deutschsprachigen Raum. Es gibt also keinen Hut für den afrikanischen Kontinent, weder für Australien noch für die Polarregionen, und auch weite Teile Asiens oder Amerikas finden keinerlei Repräsentation. Hierüber liegt wie beim Globus eine Wolkendecke: "Weltweit" heißt nicht überall, sondern nur an ökonomisch verwertbaren Orten.

Firmenname und Slogan nutzen wie selbstverständlich die Business-Sprache Englisch. Doch die Finanzprodukte werden - vergleichbar etwa der Computersoftware - für die jeweiligen Märkte "lokalisiert": Geldabheben ist "weltweit" in der Nationalsprache ("bequem auf deutsch") möglich, so wie die von us-amerikanischen ProgrammiererInnen gefertigtes Software "Microsoft Word 5.1" mit mir über die Funktion "Aktive Hilfe" in einen automatisierten deutschsprachigen "Dialog" treten kann. Interessant zu erfahren wäre sowohl bei Microsoft wie auch Citibank, welche Sprachen und Dialekte nicht "akzeptiert" werden.

Die Kreditkarte, welche im Spot aus dem Globus wie aus einem Geldautomaten nach Eingabe der Geheimnummer und Geldbetrag wieder herausfährt, fungiert hierbei als Ausweis für das Entré zur Geschäfts-Welt. Banken und Sparkassen sind in der Bundesrepublik keineswegs verpflichtet, jeder Person ein Konto einzurichten. Die Bankkarte scheidet also in - liquide - Kunden und solche, die zum Bankomat keinen Zugang erhalten.

Die im Fernsehspot genutzten icons Globus, Slogans und Logo signalisieren durch ihre Abstraktheit Abstand zum Realen. Aus dem All herab - so als wäre das Kamera-Auge in einem Kommunikations- oder Überwachungssatellit installiert - senkt sich der Film-Blick auf die Welt. Diese erinnert in ihrer blau-weiß-braungrünen Farbigkeit mehr an klar definierte Landkarten denn an das symbolisch Vertretene wie Wasser, Erde, Pflanzen, Wolken. Städte oder Lebewesen, Soziales und Konkretes hat auf dieser Welt keinen Platz. Statt verortbarer Adresse firmiert die Citibank in einem "virtuellen" Call Center mit der deutschlandweiten Einheitsvorwahl 0180. Diese Call Centers im Irgendwo der Gewerbegebiete oder unscheinbaren Bürokomplexe werden von "Leichtlohngruppen" (Jobber, StudentInnen, Halbzeitkräfte) bedient, die im Unterschied zu klassischen Bankangestellten deutlich unter Tarif bezahlt werden. Sie halten die Hot Line als 24-Stunden-Service-7-Tage-die-Woche aufrecht. Diese "Stadt" mit ihren deregulierten Arbeitszeiten und/oder Automatisierung kennt keine Ruhezeiten, denn: "The CITI never sleeps".

Der in ihrer Werbung immer wiederkehrende Slogan stammt meines Wissens aus Frank Sinatras "New York, New York"-Hymne, wobei die Metropole als "The city, that never sleeps" gekennzeichnet wird. Während die klassischen Angestellten ihren Bürodienst zu den immer noch üblichen Bürozeiten zwischen 8.00 und 17.00 ableisten, sind es zumeist farbige ArbeiterInnen, die zwischen 17.00 und 8.00 die Läden aufrechterhalten oder mit Reinigungsgeräten durch die Etagen ziehen. Doch an sie denkt bei Stichwort "Wall Street" kaum jemand, wird doch die Finanzindustrie medial weiterhin durch White Collar, postmoderne Lobbies oder eine Serie von Computermonitoren repräsentiert.

 

Digitale CITIes

Die City buchstabiert sich für den Finanzdienstleister als CITI: Stadt ist nur mehr ein korporatives Produkt. Meines Wissens entwickelte die Citibank/Citicorp für den Neubau ihrer New Yorker Zentrale erstmalig eine per Gesetz erzwungene, quasiöffentliche Foyerzone in die Sockelzone ihres "Citicorp Center". Das baumbestandene und natürlich beleuchtbare Atrium war ein Zugeständnis an die "City Plannings Commission", welche als Ausgleich für überbauten öffentlichen Raum solche innerräumlichen Fußgänger-Zonen zur Auflage machte. Großzügig darf man hier auch seine mitgebrachten Pausenbrote verzehren; ansonsten erinnert der von Geschäften und Restaurants umfaßte Hof eher an eine aufgeputzte Shopping Mall.

Im folgenden will ich im schnellen Durchlauf weitere Digitale Städte - existent im Rechner, aber genauso durch den Rechner - vorstellen:

¥ Telepolis (neue Siedlungsformen, Medienverbund)

¥ InfoCity NRW (Metropolitan Area Network, Privatisierung)

¥ Global Cities/Capitales Fatales (Stärkung weniger Machtknoten)

¥ Randstadt (geographische wie sozialräumliche Peripherie)

¥ Widerstand: Gegen die "Tyrranei der Globalisierung"

Dabei wird auch spürbar, wie weit Telekommunikation und Elektronisierung in die konkrete Stadtentwicklung eingedrungen sind.

 

Telepolis, Luxemburg

Die Luxemburger Veranstaltung "Telepolis über interaktive und vernetzte Städte" hatte nicht nur die neuen Städteformationen sowohl im Netz als auch real zum Thema, sondern war selbst ein Symptom dieser "globalen Vernetzung" mit umhertourenden Rednern, KünstlerInnen, Geschäftsleuten, KritikerInnen, Beobachtern und ÜbersetzerInnen.

Die "Telepolis" lag fernab auf dem Messe- und Kongreßgelände, angesiedelt auf dem Kirchberg-Plateau zwischen EU-Institutionen, technoiden Hotels mit rustikalen Bars, festungsartig ausgebauten deutschen Banken für Vermögenssteuerflüchtige, dem silbrigen Glaspalast der RTL-Dachgesellschaft CLT und einem noch im Bau befindlichen Stadtteilzentrums gleich neben dem künftigen Autobahnknoten. Hinter benachbarten Hügelketten landeten die Jets der per Fax und e-mail geladenen Redner aus Berlin und New York, München und Tokyo, während sich vor der Tür der Besucherparkplatz füllte.

Der Eingangsbereich der "Telepolis"-Messe über interaktive und vernetzte Städte - Deutschlands Beitrag zu "Luxemburg, Kulturstadt Europas 95" im November letzten Jahres - war von Ständen der Deutschen und Luxemburger Telekom eingekeilt, dahinter stapelten sich auf dem Büchertisch Publikationen über Non-Print-Medien. Hier standen ein bildschirmgestützter Werbestand für Burdas Focus, die gutfrequentierte Bar einer spürbar unterversorgten Oase im vorstädtischen Aus, und ein mobiler Geldautomat. Im kojenartig organisierten Ausstellungsbereich traf man auf weitgehend spielerische Medienkunst von der elektronischen Bildergalerie bis zum per kollektiver Internet-Kontrolle auszubrütenden Ei. Dazwischen hatten das Burda-Netzwerk "Europe Online" neben Ständen für ASTRA-Satelliten und CLT-Multi-Media ebenfalls Platz gefunden; zudem warb die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH mit "elektronischen Laufmappen" für die Bundesdatenautobahn Bonn-Berlin.

Neben dem Luxemburger Goethe-Institut (die deutsche Kultur-Botschaft), diversen gelisteten Siemens-Abteilungen und dem Münchner Medienlabor hatte die "Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend" als think tank des Münchner Medienunternehmens zur Eröffnungstagung über "Die Zukunft der Städte im Zeichen von Cyberspace" geladen: Sollte doch von hier aus Burdas neuer Netzdienst "Europe Online" - inzwischen mit zweistelligen Millionenverlusten wieder eingestellt - starten. Verleger Hubert Burda rief seine launige Begrüßungsworte gegen einen Schwall aus Rückkopplungsgeräuschen direkt in den Saal und wischte herrisch einen zurhilfeeilende Assistenten weg, während im Hintergrund ratlose Techniker herumirrten. Hier zeigte sich aufs schönste, wie sich unter dem neuen Label "Telepolis" europäischer Medienverbund, Hardware-Industrie, Techno-Kunst-Hype, Computerjungs-Business, die fortschreitende vorstädtische Zersiedlung oder eine enge Verbundenheit von data-traffic und realem Verkehrsaufkommen konkret formieren.

 

InfoCity NRW

"Unsere digitale Stadt: Die InfoCity NRW. Vebacom stellt die Architektur und Infrastruktur der elektronischen Stadt. Wir bauen eine elektronische Autobahn, die viele Städte in NRW miteinander verbindet." (CeBit96-Broschüre Vebacom)

Das Pilotprojekt "InfoCity NRW", eine strategische Allianz von privaten Medien-, Computer-, Telekommunikations- und Softwareunternehmen, bezeichnet sich als "ein europäisches Projekt für das 21. Jahrhundert". Der backbone des Metropolitan Area Network bildet ein 220 Kilometer Kernring zu den Großstädten an Rhein und Ruhr und wird von Vebacom, Düsseldorf - Tochter der VEBA AG, das viertgrößten deutsche Unternehmen - vorangetrieben. Insgesamt liegen entlang der Bahnstrecken 2900 Kilometer Glasfaser, um 1998 auf 3900 Kilometer ausgeweitet zu werden. 500 Unternehmen, über 20 Universitäten und ebensoviele Forschungseinrichtungen, Kliniken, Behörden, Bibliotheken und auch 8 - 15.000 Haushalte sollen - letztere über Kabelfernsehnetze - angeschlossen werden. Insgesamt 36 Studiostandorte der ARD werden miteinander verbunden; der WDR Köln hätte dann direkten Zugriff auf sein Filmarchiv in Düsseldorf. Die drei Geschäftsbereichen Basisdienste, Dienste für private Nutzer und Dienste für professionelle Nutzer markieren, daß (kommerzieller) Anschluß, nicht (soziale, informelle) Verbindung im Vordergrund steht.

"Die Infobahn InfoCity NRW verbindet die Städte von Europas wichtigster Mega-Metropole, der Urbanisation an Rhein und Ruhr" und bildet so "das neue Rhein&Ruhrgebiet". Die verwaltungstechnisch und auch vom Zungenschlag her zwiegespaltene Region soll als Mega-Metropole via "InfoCity" neu formiert und urbanisiert werden; der ehemalige Rostgürtel von Ablegern der alten Industrie (Stahl, Chemie, Kohle, Strom, Eisenbahn) mittels neuer Allianzen zum "offenen Bauplatz ["der Informationsgesellschaft"] für das 21. Jahrhundert" umstrukturiert werden. Denn: "NRW ist Europas wichtigste Wirtschaftsregion, ... die dichteste Infrastruktur- und Kulturregion und die potenteste wie innovativste Wirtschaftslandschaft der Europäischen Union." Hierfür sind Anschlüsse an die Niederlande und Luxemburg mit der Option auf einen "gesamteuropäischen Pilotversuch" vorgesehen.

 

Global Cities / Capitales Fatales - Fatale Hauptstädte des Kapitals

Noch vor dem 2. Weltkrieg existierten in der Schweiz kaum Auslandsbanken; inzwischen haben viele Institute sich in der Schweiz, und in letzter Zeit fast ausschließlich in Zürich konzentriert, sodaß die Städtekonkurrenz nicht mehr innerschweizerisch, sondern global verläuft.

Geld wird in digitaler Form blitzschnell transportabel und paßte in die Datenleitungen einer zunehmend spekulierenden und weniger investierenden Finanzbranche, die sich in und zwischen New York, Tokyo, Zürich und Frankfurt/Main angesiedelt hat. Die von der New Yorker Stadtplanungsforscherin Saskia Sassen entwickelte Global City-Theorie verzeichnet die "neue Geographien der Investition", welche sich innerhalb von zwei Jahrzehnten durch Hochtechnologie (Computer), Vernetzung (Satellit, Funktelefon, Glasfaser-Kabel, Datenautobahn), Verkehrsinfrastruktur (Autobahnen, Schnellbahnen, Flug- und Containerschiffshäfen) bis hin zu Tourismus und Kultur (Euro-Disney) herausgebildet haben.

Im Zuge der geographische Verlagerung von Produktion, Verwaltung, Forschung & Entwicklung etc. und je nach Maßgabe von Kosten, Subventionen und Recourcen (Fachkräfte, Rohstoff, Kapital) strukturierte sich die Konzernwelt massiv um. Eine transnational operierende kapitalistische Klasse sucht so nicht zuletzt die national orientierten Gewerkschaften, Behörden und Parlamente sowie zumeist sich regional bildende soziale Bewegungen auszuhebeln.

Bezeichnungen wie Deregulierung, Neue Internationale Arbeitsteilung, Outsourcing, Subcontracting, Strategische Allianzen, flexible Akkumulation oder Städtewettbewerb wären ohne die - elektronisch verstärkten - Netzwerke nicht möglich. William J. Mitchell veranschaulicht in "City of Bits" die "Internationale Arbeitsteilung" "from Silicon Valley to Singapore" mit der Herstellung seines Laptops, auf dem er eben dies gerade schrieb. Aber auch die Steuerung, Entwicklung und Vermarktung solcher Produkte ist nur mehr mittels Datennetze möglich.

Saskia Sassen erinnert im kürzlich erschienenen Sammelband "Capitales Fatales" , daß sich trotz dieser räumlichen Zerstreuung der Produktion weithin kapitale Zentralitäten heranbilden: Zwar findet die Forschung, Entwicklung und Produktion etwa von Laptops immer stärker auf dem Globus verstreut statt, doch die Knotenpunkte der Steuerung sind schon allein wegen des technischen Aufwands und der Komplexität der Aufgaben auf wenige Welt-Städte konzentriert. Die Konzerne sind zunehmend auf Kernstädte von Metropolen angewiesen, da sich nur dort hochbezahlte Dienstleister, Anwälte und Fachkräfte finden, die wiederum den direkten Austausch, die Repräsentanz der Adresse und Angebote für Luxuskonsum und Hochkultur suchen, welche nur eine Großstadt bietet. Nahegelegene Lokalitäten für Geschäftsessen, um Vertrauensverhältnisse aufzubauen, oder der Aktionsradius von Fahrrad-Kurieren bestimmen nicht unmaßgeblich die Central-Business-Districts. Und hier werden zuerst die schnellsten Datenleitungen gelegt: So wird Berlin vorerst nur zwischen Ku-Damm und Alexanderplatz mit Hochleistungs-Glasfaser verkabelt.

 

Randstadt

Wer wird zu den neuen Online-Regionen gehören, und wer bleibt im Durchzugsgebiet der Hochgeschwindigkeits-Transportinfrastruktur sozusagen als "Kommunikationskorridor" (Sassen) auf der Strecke? Schon das ebenfalls zu Nordrhein-Westfalen gehörende, eher dünnbesiedelte Münsterland bleibt bei der InfoCity NRW außen vor; ebenso Osteuropa, für deren Metropolen "sich diese Vernetzung später ebenfalls ergeben" wird.

"Der herrschende Diskurs über Globalisierung ist ein Ausschießungsdiskurs." (Saskia Sassen)

Die Grenzlinie, welche per legistativer, ökonomischer und medialer Definitionsmacht in den Kategorien "KundInnen", "Humankapital", "Legale" getroffen werden, zieht sich zum einen zwischen den Global Cities und dem Rest der Welt. Die Metropolen des digitalisierten Finanzkapitals stehen untereinander in Konkurrzenz und grenzen sich vom infrastrukturell weniger versorgten Rest ab. So gibt es in Manhattan - immerhin ja nur ein Stadtteil von New York City - laut dem südafrikanischen Vizepräsidenten Thabo Mbeki mehr Telefonleitungen als in Afrika südlich der Sahara. "Gebiete ohne Anschluß [an Autobahnen, Schnellbahnen, Glasfaserkabel] verkommen zu urbanen Peripherie", so die Mitherausgeber Hitz/Schmid/Wolff in "Capitales Fatales", wobei die neue Randständigkeit nicht allein im globalen Maßstab ("Dritte Welt") oder regional (zentraleuropäische Wirtschaftszone "Blaue Banane" <-> Mecklenburg-Vorpommern), sondern zunehmend auch sozialräumlich zu verstehen ist und sich bis in die Kernstädte hinein und hindurch zieht. Diese Spaltung betrifft ebenso ihre so exorbitant unterschiedlich honorierten DienstleisterInnen-Bereiche. Je nach Zugehörigkeit im Dienstleistungssektor ist Arbeitszeit und zugestandener Aufenthaltsort, öffentliche Repräsentation und Bezahlung zwischen "WissenarbeiterInnen" und "DienstbotInnen" deutlich polarisiert. Kategorien, die bislang "erste" und "dritte Welt" zu trennen schienen, finden sich nunmehr in den Global Cities selbst.

Sassen kritisiert die Abwertung und "Ausblendung des ganzen Spektrums von Tätigkeiten und Beschäftigungsgruppen aus dem Diskurs der Globalisierung, die ein ebenso integraler Bestandteil dieses Prozesses sind wie das internationale Finanzkapital". Zum einen bleiben dabei Sektretärinnen und Fahrer, Copyshop-Betreiber und Köche unerwähnt. Zum anderen halten sich in der Innenstadt neben den jung-urbanen Dienstleistern auch MigrantInnen und andere Niedriglohn-DienstbotInnen bevorzugt auf, da sich nur hier Untergrundökonomie, Schattenwirtschaft und 24-h-Familienbetriebe rentieren. Die parallele Anwesenheit der Serviceleistenden wird in den Stadtbetrachtung häufig ausgeblendete: "Die Tatsache, daß nachts in diesen Räumen eine ganz andere Abteilung von Beschäftigten wirkt, ... und dieser Raum von einer völlig anderen Kultur (manuelle Arbeit, oft Musik, Essenspausen um Mitternacht) beherrscht wird, bleibt unsichtbar."

 

Aufstand gegen die "Tyrranei der Globalisierung"

Ist man dem Global-Maß unausweichlich ausgeliefert? Ich teile den gestern aus dem Publikum geäußerten Einwand gegenüber dem Vortrag von Hans G Helms insofern, als trotz aller Durchsetzungsmacht des Finanzkapitals auch den entsprechenden Konfliktlinien nachgegangen werden muß. Denn nicht alles funktioniert reibungslos. Der von Helms als monolitisch beschriebene Block mit seinen diversen "Partnerschaften" läßt sich zumindest stören, wie die wilden Streiks - auch gegen den bundesdeutschen Gewerkschaftsapparat und sein "Bündnis für Arbeit" - oder Sabotageakte demonstriert haben.

"Der französische Aufstand zeigt, daß der Internationalismus die Seite gewechselt hat. Früher eine Waffe in den Händen der Arbeiter, ist er heute zur Globalisierung mutiert", so Ignacio Ramonet etwas unscharf in der Januar-Ausgabe von Le Monde diplomatique zur französischen Streikwelle Ende 1995: Internationale Solidarität und "Internationale Arbeitsteilung", wie sie die Firmen auf der Suche nach willfährigen Produktionsstätten propagieren, meinen keineswegs das selbe. Hier wäre ein neu zu definierender Internationalismus gefragt, der die Konzernperspektive verläßt und etwa beim Alltag der MigrantInnen innerhalb der Global Cities ansetzt.

Während die industrielle Revolution aus Bauern erst eine Arbeiterschaft formiert hatte, vollzieht sich im Rahmen eines postfordistischen Umbaus die fortschreitende Individualisierung der gegeneinander aufgehetzten ArbeiterInnen im Kampf um "ihren" Standort. Erik Izraelewicz betitelte deshalb seinen Le Monde-Artikel über die französischen Dezember-Streiks als "der erste Aufstand gegen die Globalisierung". Selbst wenn sich dies am Streik selbst nicht ablesen ließe, und was ich aus der Ferne nicht beurteilen kann, so ist hierbei immerhin bemerkenswert, daß zumindest in Frankreich der Zweifel am "Global-Maß" ein tragfähiges Streikmotiv hergibt.

 

Keine Verbindung e.V.

"Wir haben an mehreren Stellen die unterirdischen Glasfaserbahnen durchschnitten... [Der Rhein-Main-Flughafen ist ein] wichtiger Bestandteil der militärischen Logistik [und hat] seine Funktion im Rahmen der imperialistischen Weltordnung... Unsere Aktion ist der Versuch, den glatten Ablauf der Maschinerie zu stören". Insbesondere galt der Anschlag dem "Internierungslager", das der Bundesgrenzschutz auf exteritorialem Gebiet als Außengebäude auf dem Flughafengelände eingerichtet hat, um MigrantInnen direkt wieder abzuschieben. Die Zitate stammen aus dem Schreiben der Attentäter, welches auszugsweise in der Abendausgabe der Frankfurter Rundschau vom 2.2.95 abgedruckt war.

Im Zuge des Anschlags auf die Kabelverbindungen zum Flughafen Rhein-Main erklärte ein Polizeisprecher, daß "im Frankfurter Untergrund mittlerweile mehrere tausend Kilometer Kabel für die Telefon- und Datenkommunikation verlegt" wären. Die Zahl der Wartungsschächte summiere sich auf mehrere hunderte. (Frankfurter Rundschau 3.3.95) Am 1.2.95, zwischen 3 und 4 Uhr morgens, wurden an drei Stellen insgesamt sieben Glasfaser-Kabelbäume - drei Ortsnetzkabel und vier Fernkabel - in der Umgebung des Frankfurter Flughafens durchgesägt. Davon betroffen waren der Telefon- und Datenverkehr des Flughafens, die Lufthansa-Basis, bundesweit die elektronischen Buchungen der Lufthansa sowie einiger anderer Fluggesellschaften, die Flughafen-Hotels, alle Geldautomaten am Flughafen sowie das Frankfurter Universitätsklinikum. Es kam zu Verspätungen beim Flugverkehr und Chaos bei den Buchungen. Weiterhin waren die Ortsnetze der angrenzenden Städte Mörfelden-Walldorf, Kelsterbach und südwestliche Stadtteile Frankfurts mit jeweils mehreren tausend Anschlüssen für mindestens 15 Stunden unterbrochen. Hinzu kam die Überlastung des noch verbliebenen Flughafennetzes. Richtfunkstrecken bzw. Handys oder Fahrdienste überbrückten notdürftig den Business-Betrieb. Die Deutsche Telekom bescheinigte den AkteurInnen "Systemkenntnis und massive kriminelle Energie".

Globale Netzwerke, die "Schnittstellen der Informationsgesellschaft" und digitale CITIes sind also weder "virtuell" noch unverwundbar.

Jochen Becker, 1996